Der Führerkomplex

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Wir sehen heute noch mit ungläubigem Erstaunen wackelige Filmaufnahmen von 1914, als stolze Soldaten mit Pickelhauben, begleitet von jubelnden Mädchen unter den Klängen von „ Muss i denn, muss i denn zum Städtele hinaus“ begeistert in den Krieg zogen.

Nun, wir wissen, was dabei herauskam.

Heute scheint Deutschland wieder einmal in einen Kriegsrausch verfallen zu sein. Die Bildzeitung verlangt, dass wir gegen Russland in den Krieg ziehen. Vor ein paar Tagen schrieb sie: „ Deutschland gegen Russland“. Wir haben offensichtlich die Verantwortung für die Ukraine. Afghanistan, für das wir bis vor vierzehn Tagen auch die Verantwortung hatten, ist mittlerweile vergessen.

Alle, die nicht gegen Putin geifern, sind wieder mal Nazis. Inzwischen wird von russischen Staatsbürgern wie Anna Netrebko verlangt, dass sie sich eindeutig von Putin distanzieren. Ich bezweifle sehr, dass diejenigen, die das verlangen, den Mut hätten, das in einer Diktatur selbst zu tun. Die Gefahr, für immer im Abseits zu landen, ist groß. Aber es ist ja stets am bequemsten, hinter dem warmen Ofen hervor zu bellen.

Russen, die in Deutschland leben werden angefeindet. Russische Läden werden beschmiert.

Vor dem Ukrainekonflikt hatten wir dieselbe Hasskampagne gegen Menschen, die sich nicht impfen lassen wollten. Das Gleiche findet statt gegen die, die ihre Sprache nicht durch Sternchen verhunzen lassen wollen.

In den vergangenen Jahren wurden die stigmatisiert, die lieber deutsch und weniger bunt sein wollten.

Offensichtlich scheint in diesem Volk ein Gen oder Trieb zu sein, der es dazu zwingt, sich mit Vehemenz und unter weitgehender Aufgabe der Hirntätigkeit, unter einem Banner zu versammeln und alle, die da nicht mitmachen, am liebsten ins Meer schmeißen zu wollen.

Ich vermag bei diesem Verhalten keinen Unterschied zu dem früheren „ein Volk, ein Reich, ein Führer“ zu erkennen. Da stand auch einer und rief: „Wollt ihr Butter oder Kanonen?“ „Kanonen!“, heulten sie zurück.

Mir tun die Menschen in der Ukraine sehr leid, die Spielball von politischen Ränkespielen geworden sind. Wobei ich bezweifle, dass wir, die wir mit warmen Hintern aus unseren Fenstern in die kalte Luft hinausblicken, das Leid der Ukrainer auch nur ansatzweise nachvollziehen können.

Wer sich die Mühe macht, ein bisschen gründlicher zu recherchieren, wird zu dem Ergebnis kommen, dass diese Katastrophe vorhersehbar war.

Alle werden wohl der Aussage zustimmen: „Kriege sind schlecht und sollten geächtet werden.“ Aber – sie werden trotzdem geführt. Dabei sehen wir, dass es einen großen Unterschied macht, ob „wir“ ihn führen oder die anderen. Wir, das ist der Westen mit den USA als unserem Häuptling. Als damals George W. Bush aufgrund einer Lüge in den Irak einmarschierte, geisterten die grünen Nachtaufnahmen der „präzisen Luftschläge“ über Bagdad durchs Fernsehen und wir hatten es nur dem jetzt verfemten Kanzler Schröder zu verdanken, dass wir nicht dabei waren. Seitdem herrschen Mord und Totschlag im Nahen Osten. Stichwort Al Kaida und IS. Letzterer breitet sich in verschiedenen Spielarten über Afrika aus. George W. lebt inzwischen wieder fröhlich auf seiner Ranch in Texas. Sein Privatvermögen wird nicht beschlagnahmt.

Wir kommen mit diesem Beispiel zur zweiten Ebene der Kriegsführung. Nämlich der realen Machtpolitik. Es gibt zwei Blöcke auf der Welt. Das sind wir, der freie Westen und die anderen, die irgendwie Bösen. Das sind die Russen und die Chinesen. Beide Blöcke versuchen ihren Einflussbereich auszudehnen und zu behaupten. Die Amerikaner blockieren Kubas Entwicklung seit fast 60 Jahren, weil die nicht so wollen wie die Amis das wollen. Sie würden nie dulden, dass sich die „Bösen“, also die Russen dort „einquartieren“. Lieber würden sie einen III. Weltkrieg riskieren. Siehe Kubakrise 1962.

Ähnliches spielt sich jetzt in der Ukraine ab. Russland wird nie zulassen, dass sich der Westen als dominanter politischer Faktor dort festsetzt.

Das versucht man aber seit einer Reihe von Jahren. Da faselt man dann vom Selbstbestimmungsrecht der Ukraine. In Wahrheit aber geht es um Machtinteressen und Ausweitung der Einflusszonen. Den Ukrainern wurden Hoffnungen gemacht und keiner dachte ernsthaft daran, sie zu erfüllen. Das ist das Verlogene.

Deswegen wird auch Nordkorea nie mit dem Süden wieder vereint werden. Die Chinesen werden es nicht dulden, dass die USA unmittelbar an ihren Grenzen stehen, und das würden sie.

Liebe Deutschen, denkt mal ein bisschen differenzierter und lasst die armen Russen in Frieden, die sich auf unseren Straßen und in ihren kleinen Geschäften befinden. Die waren’s nicht! Und die Anna Netrebko auch nicht! Genau so wenig wie damals Heinrich George, der Vater von Götz, oder Heinz Rühmann. Die bewegten sich damals auch gerne oder gezwungen in der Gegenwart von Herrn H. und Herrn Goebbels.

 

 

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