Finde deine eigene Wahrheit

IMG_20210624_115843In der Bhagavad Gita heißt es:„Wie ein Lotosblatt auf der Wasseroberfläche treibt, ohne nass zu werden, bleibt der Yogi unberührt von Hitze und Kälte, Freude oder Leid. Für ihn ist alles gleich. Für ihn ist alles ein Spiel der Gunas.“

Wer würde das nicht gerne für sich in Anspruch nehmen? Man könnte quasi, Gott ähnlich, in heiterer Gelassenheit die Höhen und Tiefen des Lebens an sich vorüberziehen lassen.

Leider bleibt das für die meisten von uns ein unerfüllter Traum. Das hat zwei Gründe:

Zum einen konzentrieren wir uns nicht auf ein großes Ziel wie Yogis das tun, nämlich die Transzendenz der Ich-Gebundenheit. Wir bleiben lieber in der Welt der Dinge: fahren in den Urlaub, gehen ins Kino, genießen die schönen Stunden und hassen die schlechten. Manchmal meditieren wir ein bisschen und lesen ein philosophisches Buch. Nachts bei der Betrachtung des Sternenhimmels ahnen wir die Existenz eines Größeren, aber dann schließen wir wieder das Fenster und wenden uns unseren Alltagsgeschäften zu.

Wir bleiben in der Ich-Gebundenheit verhaftet und tappen dabei in die Falle dessen, was in den Yoga-Sutren als Raga bezeichnet wird. Das bedeutet, wir mögen etwas und ein anderes mögen wir nicht. In unserem Fall hier schätzen wir die heitere Gelassenheit, das Gegenteil, nämlich den Ärger darüber, dass wir uns schon wieder in einen Strudel von Gefühlen hineinziehen ließen, den lehnen wir ab.

Das funktioniert so nicht!

Dieses eines mögen und das andere Ablehnen zieht sich durch unser ganzes Dasein, sogar bis ins Innerste unserer Persönlichkeit. Wir kennen uns ja. Da gibt es Eigenschaften und Facetten an uns, mit denen wir einverstanden sind. Andere lehnen wir ab. Die mögen wir nicht und möchten sie am liebsten unter den Teppich kehren. Aber sie sind da und ohne sie wären wir nur die Hälfte von dem, was uns ausmacht.

Als ich vor fast einem halben Jahrhundert aus dem Yogainstitut nach Deutschland zurückkam, war ich überzeugt, dass es jetzt nur noch eine Frage sehr kurzer Zeit sei, bis ich Samadhi realisiert hätte. Als ich mich damals verabschiedete, sagte Shri Yogendra, der alte Yogi:„Something is gained“. Das erschien mir damals reichlich untertrieben.

Natürlich hatte er recht, denn mehr als ein paar Grundlagen waren nicht da. Allerdings dienten sie dazu, die folgenden Jahre mit ihren Ereignissen anders einordnen zu können. Ich hatte mir sozusagen einen Grundbausatz erworben. Der reichte jedoch in keiner Weise aus, die ersehnte „heitere Gelassenheit“ zu erleben.

Das erworbene Karma ist da, und es bleibt auch da und muss gelebt werden. Man sollte nicht vergessen, dass Yoga einzig und allein praktiziert wird, um kein neues Karma zu erwerben. Alles Handeln, jeder Gedanke, der ja letztlich irgendwann in die Tat umgesetzt wird, wird zu neuem Karma, was wieder Folgen zeitigt und so fort. Dieses Rad der Ursache und Wirkung kann erst durch die Stufen des höheren Yoga, Dharana-Dhyana-Samadhi, überwunden werden.

Irgendwann erreichen alle dieses Ziel. Es gibt da eine nette kleine Geschichte. Ein Mann geht zu einem Weisen und fragt, wie viele Inkarnationen er noch zu erleiden hätte, bis er vom „Rad“ befreit sei. Der Weise deutet auf einen großen Mangobaum vor dem Haus und sagt:„Siehst du die Blätter dieses Baumes? So viele Male wirst du noch wiedergeboren.“ „Das ist ja gar nicht mehr so viel“, meint der Mann und zieht freudig von dannen.

Yoga ist gewissermaßen der Schnellzug zu diesem Ziel.

Aber – „noch ist Polen nicht verloren“ lautet ein geflügeltes Wort aus der polnischen Nationalhymne. Für uns heißt das, dass wir in diesem Leben doch noch wenigstens in die Nähe dieser „heiteren Gelassenheit“ kommen können, wenn wir uns unserer ganz eigenen Wahrheit stellen, indem wir sagen:„Das bin ich! Ich bin nicht so wie andere. Ich habe die und die Eigenheiten, Stärken, Schwächen, Süchte, tief verborgenen Wünsche und Ängste“, von denen wir nie etwas erzählen, „aber das ist so, da kann ich grundsätzlich nur bedingt was ändern. Ich kann kein anderer Mensch werden. Das ist mein Karma. Einen Teil habe ich, so scheint es, bewältigt, aber andere Teile bleiben ein Leben lang, trotz vieler Versuche, daran etwas zu verändern. Sie bleiben mir vielleicht bis zum Tod.“

Dieses Annehmen der eigenen Person mit all ihrer Macht(losigkeit) ist eine realistische Einschätzung nach innen und nach außen. „Da kann ich was verändern und da eben nicht.“

Durch diese Betrachtungsweise gewinnen wir unsere Selbstbestimmung zurück.

Ich bin früher gesegelt. Es war während eines Sturms in der Nordsee. Wir schätzten Stärke 8-9. Das Boot stampfte und schoss mit starker Neigung dahin. Die Wellen kamen über. Dann drehten wir bei. Das ist ein seemännisches Manöver, bei dem das Schiff in einer bestimmtem Segelstellung mit dem Sturm und der See treibt. Plötzlich herrschte Ruhe! So als gäbe es den Sturm nicht mehr. Indem wir mit ihm fuhren, hatten wir seine Macht gebrochen.

Total Page Visits: 792 - Today Page Visits: 1