Schattenseiten der Bhagavad-Gita Teil 3

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Im letzten Teil meiner Reflexionen über die Bhagavad-Gita möchte ich mich noch einmal dem Dharma zuwenden.

Jedem Indienreisenden stechen die gewaltigen Unterschiede ins Auge. Indien ist alles auf einmal. Es existieren Schönheit und Schmutz, unfasslicher Reichtum und bitterste Armut nebeneinander.

 

Circa 450 Millionen Inder haben keinen Zugang zu Toiletten und verrichten ihre Notdurft im Freien, wo immer es geht.

Zu Füßen des majestätischen Maharaja-Palastes in Udaipur liegt der See mit dem berühmten Lake-Palace-Hotel. Wenn man am idyllischen Ufer an den Ghats, wo morgens die Wäscherinnen ihre Arbeit tun, entlang geht, muss man sehr genau aufpassen, um nicht in eine der Hinterlassenschaften der Stadtbevölkerung zu treten.

An den Baustellen überall im Land begegnen dem Besucher hagere Gestalten, Männer und Frauen, die in Schüsseln Sand, Steine und Zement nach oben tragen. Ihre Nahrung besteht aus etwas Dhal mit Reis. Die ganze Familie, mitsamt den halbnackten Kindern schläft und lebt auf der Baustelle.

Eingeprägt hat sich mir das Bild einer Frau unten in Kerala, die neben einem Haufen großer Steine saß und daraus mit einem Hammer Kies herstellte. Gleichmütig und geduldig.

 

Das Ideal des Yoga, so wie Krishna es in der Gita lehrt, ist der Gleichmut, mit der der Yogi die Wechselfälle des Daseins bewältigt. Wie das Blatt einer Lotusblume, welches ohne nass zu werden im Wasser schwimmt, so nimmt er Freude und Leid, heiß oder kalt in Gleichmut hin.

 

Da der indische Mensch in seinem Leben genau das erfährt, was er in vorangegangenen Daseinsformen selbst verursacht hat, ist er gehalten, in stillem Dulden sein Karma zu ertragen. Wen anders als sich selbst sollte er auch verantwortlich machen?

Die Regierung? Die Umstände? Die Ungerechtigkeit auf der Welt?

Er allein ist für seine Situation verantwortlich. Nur wenn er in diesem Bewusstsein sein Dharma auf sich nimmt, hat er die Chance, im nächsten Leben in besseren Verhältnissen wiedergeboren zu werden.

Vom Psychologischen her hat dieses Denken seine Vorteile. Erspart es dem Menschen doch, seinen Eltern, Lehrern usw. gegenüber in einer Haltung des Vorwurfs zu verharren. Wir alle wissen, dass das nicht gut tut.

Nur wer Verantwortung für sich selbst übernimmt, entwickelt sich zu einem unabhängigen, reifen Menschen.

Politisch gesehen allerdings ist es eine Katastrophe, weil an den Machtverhältnissen nicht gerüttelt wird. Oben und Unten bleiben trotz aller Aufweichungen und Minderheitenregelungen erhalten. Wenn der Schatten eines Unberührbaren auf einen Brahmanen fällt, so muss dieser sich reinigen.

 

In den vergangenen Jahrzehnten bin ich mit mancherlei Yogaaspiranten zusammengekommen. Leute aus dem Westen versuchen dieses indische Denken unreflektiert zu übernehmen. Da wir archetypisch gesehen aber ganz anders gepolt sind, gelingt das m.E. nur unvollkommen. Gesellschaftspolitisches Denken und Handeln wird abgelehnt und als Störung auf dem spirituellen Weg zum Samadhi gesehen.

Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe oft den Eindruck, dass das zu einem gehörigen Egoismus führt.

Wir hatten hier im Westen vor einigen Jahrhunderten ein ähnliches Denken. Oben der von Gott erwählte König, dann abwärts in der Hierarchie der Klerus, der Adel, die Bürger, die Handwerksstände, die freien Bauern und ganz unten die Leibeigenen.

 

Adel und Kirche lehrten unisono, dass das gottgewollt sei. Unsere gesellschaftspolitische Wirklichkeit sähe vielleicht ähnlich aus wie in Indien, wenn nicht die Aufklärung stattgefunden hätte und die Trennung von Staat und Kirche geschehen wäre.

Seit einigen Jahren wird durch die zunehmende Zuwanderung von Muslimen immer mehr über Religion geredet. Das war in den vergangenen Jahrzehnten nach dem Krieg nicht der Fall. Im Gegenteil, die Menschen machten sich frei von kirchlicher Bevormundung. Im ländlichen Raum war es ja noch gang und gäbe, dass der Pfarrer anrückte, wenn eine katholische Frau einen evangelischen Mann heiraten wollte.

 

Wir sollten sehr aufpassen, dass sich nicht in Teile unserer Gesellschaft wieder die politische Religion einschleicht.

In der Bibel steht, dass man zum Beten in sein stilles Kämmerlein gehen und die Tür hinter sich schließen soll.

Seinen Glauben auf den Marktplatz zu tragen sei von Übel.

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