Dem Ziel entgegen

H 009In der alten indischen Tradition bezeichnet man einen Menschen, der ernsthaft einem spirituellen Pfad folgt als Sadhaka. Im Yogainstitut bezeichnete man sie als „ernsthafte Sucher“.

Während der epischen Schlacht von Kuruksetra fragte Arjuna seinen göttliche Wagenlenker Krishna: „Sage mir, oh Erhabener, was geschieht mit denen, die den Pfad des Yoga gegangen sind und ihn wieder verlassen haben. Ist alles, was sie bis dahin erreicht haben verloren? War alles umsonst?“

Krishna antwortet: „Sei ohne Sorge mein Freund. Wenn der Geist (Purusa) sein altes Gewand (den Körper) abgelegt hat und sich neu einkleidet, dann werden sie genau dort weitermachen, wo sie im früheren Leben aufgehört haben.“

Jede Suche, jeder Weg ist untrennbar mit einer Ethik verbunden. Nun ist Ethik nicht gleich Ethik. In einem Mafiaclan mag es als ehrenhaft gelten, dem Paten unbedingten Gehorsam zu leisten und dabei auch über Leichen zu gehen. Auf dem Weg zur Erkenntnis ist diese Ethik nicht unbedingt förderlich.

Die Yogasutren unterscheiden folgerichtig zwischen Klista und Aklista basiertem Denken. Das erstere beruht auf falscher, das zweite auf richtiger Annahme.

Aklista ist eine Ethik, die zum Beispiel auf Gewaltlosigkeit, Anteilnahme usw. beruht. Klista-Denken sieht in allem ein Gegeneinander.

Wir alle befinden uns manchmal in der einen oder der anderen Kategorie.

Patanjali unterscheidet fünf Ebenen, auf denen das Denken stattfindet:

 

Mudha = dumpf, träge

Ksipta = zerstreut

Viksipta = rastlos, unstetig, gelegentlich konzentriert

Ekagra = auf ein Ziel gerichtet

Nirodha = ständig auf der Ebene des Geistes verweilend

Wir kennen das aus unserem Alltag. Einmal sind wir konzentriert und nichts kann uns aus unserer Zielgerichtetheit herausreißen. Anderntags treiben wir ruhelos von einem zum anderen.

Das Ziel des Rajayoga ist die Nirodha Ebene, in der das Denken vollkommen konzentriert ist und diese Konzentration auch dauerhaft beibehält.

Das Ergebnis ist Mukti, die Erkenntnis, dass man nicht dieser Körper ist, sondern seit jeher der Purusa, der Geist, von Anfang an perfekt und vollkommen, und man nur Leben auf Leben in der Illusion verbrachte, der Körper mit all seinen Irrungen und Wirrungen zu sein.

An dieser Stelle mag folgende Frage aufkommen: Wenn der Geist (Purusa) vollkommen ist, warum sagt er mir dann nicht, dass ich nicht dieser Körper bin, der sich durch dieses Leben ärgert?

Das Samkhya, die dem Yoga zugrundeliegende philosophische Schule, antwortet darauf mit folgendem Beispiel:

Der Purusa ist ein Lahmer, der sich von einem Blinden (der materielle Körper) tragen lässt. Die beiden sind eine Bindung eingegangen.

Der Geist (Purusa) kann nicht handeln, denn wozu sollte ein Vollkommener handeln? Handeln ist ja immer mit einem Ziel verbunden. Für den Geist gibt es keine Ziele, denn er ist und war schon immer da. Die Materie (Prakriti), aus der der Körper besteht, ist dagegen zum Handeln und damit zum Leben fähig, es fehlt aber die Weisheit, in welcher Richtung die Reise gehen soll.

Yoga sieht den Körper mit seinem unsteten Denken als Vehikel, um durch Erfahrung zur Erkenntnis zu kommen, wer man wirklich ist.

Beispielsweise jagt man ein Leben lang materiellen Werten nach, erwirbt ein Vermögen, fährt teure Autos, misst sich mit Anderen und spürt doch immer wieder, dass das nicht zu dauerndem Zufriedensein führt. Dies kann zum Beginn einer Suche, einer Sadhana werden.

Während der „normale Mensch“ so durchs Dasein „eiert“ und ständig von einer Denkebene in die andere wechselt, geht der Yogi die Direttissima. Ankommen werden sie beide. Bloß durchleidet der eine 1000 Daseinsformen, der andere ist schneller und hat frühzeitig erkannt, dass ein Großteil des Lebens aus Zeitvergeudung durch sinnloses Streben und Handeln besteht.

 

 

 

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