Das ist Yoga

-Indien5-05Es wird eine ganze Menge Unsinn über Yoga erzählt. Kaum einer weiß, um was es wirklich geht. Da wird auf der einen Seite in Schulturnhallen eine Art Gruppenturnen als Yoga angeboten, auf der anderen Seite gibt es elitäre Zirkel, die viel über Chakrenmeditation und Kundalini reden, ohne genau zu wissen, was dahintersteckt. Oft wird Yoga, zusammen mit Autogenem Training, Gymnastik für die Wirbelsäule und diversen Entspannungsmethoden als Gesundheitstechnik und Fitnesstraining angeboten. In Wirklichkeit ist es viel mehr. Es ist in der Tat die ausgefeilteste Anleitung zur Evolution des menschlichen Denkens, die ich kenne. Menschen, die in der Lage und willens sind, den Yogaweg zu gehen, erreichen die Erkenntnis der absoluten Realität. Sie blicken hinter die Schleier der Gunas.

Ich denke, dass jeder von uns eine Utopie in seinem Leben braucht. Ich meine dies nicht im Sinne einer Spinnerei, sondern als eine Art Leuchtfeuer, welches geeignet ist, uns immer wieder Impulse in unser tägliches Leben zu senden, die uns daran erinnern, dass es eine andere Art der Realität gibt, als die, in der wir nur all zu oft unterzugehen drohen. Deswegen möchte ich das Yoga in seiner ganzen Komplexität und Gewaltigkeit kurz darstellen.

Patanjali schreibt im Yogasutra 2,Kap.1:

Yogas citta-vrtti-nirodha. Das ist Sanskrit und heißt: Yoga ist die Unterdrückung der Fluktuationen des Denkens. Citta ist die Summe aller Gedanken und Geistesregungen, die sich über Inkarnationen angesammelt haben. . Unter Vrtti haben wir die unglaublich schnell wechselnden Inhalte des Denkens, also der Citta zu  verstehen. Du siehst einen Ferrari auf der Straße und bist davon kurzfristig so beeindruckt, dass dein Denken für eine Sekunde aus nichts als Ferrari besteht. Dann gehst du weiter und hörst irgendeinen Popsong und es wiederholt sich dasselbe. Dieser Prozess spielt sich millionenfach während des Tages ab. Wenn du das Denken mit einem Spiegel vergleichst, dem du verschiedene Farben präsentierst, dann wird er immer die jeweilige Farbe annehmen. Man könnte also sagen, dass wir für Augenblicke das jeweilige Objekt sind, welches uns unsere Sinne präsentieren. Jedes dieser Vrtti hinterlässt einen Eindruck, sozusagen eine Gravur, im Bewusstsein. Wir bezeichnen dies als Samskaras. Über sehr, sehr lange Inkarnationsperioden hin verdichteten und verdichten sich diese weiter zu den Vasanas, diesen tiefverwurzelten Strebungen in uns.

Es gibt eine komisch-tragische Geschichte von einem Rishi, einem dieser großen Weisen im alten Indien. Er hatte schon viele Jahre in tiefer Meditation verbracht und stand kurz vor der Erleuchtung. Eines Tages ging ein hübsches Mädchen an ihm vorbei. Just in diesem Moment öffnete er die Augen und geriet in Verzückung ob ihres Anblicks. Jede Meditation war vergessen.

Jetzt weißt du, was unter Vasana zu verstehen ist.

Vrtti kommen also nicht nur von außen, sondern sind in Form von Samskaras und Vasanas im Bewusstsein gespeichert. Unser Denken ist also ständig beschäftigt, ob wir das jetzt wahrnehmen oder nicht. Wenn wir genau hinschauen, dann sind wir eigentlich selten in der Lage, klar zu denken. In jedem Moment schießen uns ungezählte Impulse durch den Kopf, die uns die Wahrnehmung des gegenwärtigen Augenblicks trüben. Wir gehen an einem einsamen Strand entlang und können ihn nur zum Teil genießen, weil unsere Gedanken in Vergangenheit und Zukunft herumschwirren.

Man könnte das Denken mit einem Teich vergleichen. Die kleinen Wellen an der Oberfläche, hervorgerufen durch eine leichte Brise sind die Vrttis. Die Brise sind die Sinneseindrücke. Durch die Wellen entsteht eine Brechung des Lichts, so dass man nicht auf den Grund des Teichs sehen kann. Dies ist erst möglich, wenn die Oberfläche vollkommen glatt ist. Genau das ist es, was durch Yoga erreicht werden kann. Es bringt das Denken zum absoluten Stillstand, um auf dem „Grund des Teichs“ – den Purusa, unser wahres Selbst zu entdecken. Dies ist das gewaltigste Unternehmen, welches ein Mensch beginnen kann. Versuche nur einmal, dich eine Minute auf einen Punkt zu konzentrieren, dann merkst du, wie schwierig das ist. Was glaubst du, welche Intensität der Wahrnehmung erreichbar ist, wenn das ständige innere Babbeln abgestellt ist? Jeder von uns hat Zeiten, in denen die Gedanken ruhiger sind. Wenn du mal darauf achtest, wirst du merken, dass dann deine Wahrnehmungsfähigkeit schärfer ist. Unter Einsatz aller Energie, deren der Mensch fähig ist, ist dieser Prozess bis ins Unendliche steigerbar, bis hin zu dem Ziel, welches ich weiter oben genannt habe. Sämtliche Techniken, die dem Yoga zugehören, haben das einzige Ziel, das Denken zu konzentrieren und auf einen Punkt zu richten.

 

 

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