Das zweite Prinzip ist Rajas, das Veränderliche. Rajas bedeutet Staub. Es ist der Drang, tätig zu werden, etwas zu bewirken, zu handeln. Es trübt das reine Bewusstein des Sattvaguna und legt sich wie Staub vor die reine Erkenntnisfähigkeit. Rajas holt dich aus der klaren sattvischen Wahrnehmung.
Ich erinnere mich an eine Urlaubssituation. Es war in der Kathedrale von Vannes in der Bretagne. Ich schlenderte in Touristenmanier durch den hohen, halbdunklen Raum und fand mich plötzlich vor einem Bild, das Jesus zeigte. Mir sind keine Einzelheiten mehr deutlich. Ich weiß aber noch, dass ich wie angewurzelt davor stehen blieb, gefesselt von dem Gesichtsausdruck. Da war so viel innere Schönheit und Klarheit. Es zeigte eine entschlossene Männlichkeit, die nichts mit maskuliner Härte zu tun hatte, sondern geprägt war von einer unendlich großen inneren Sicherheit und Reife. Ich fühlte mich in vollkommenem Einklang mit ihm und hatte nur noch den einen Wunsch, so zu werden wie er, so naiv das jetzt klingen mag. Mir erschien in diesem Moment mein Leben und die Ziele, die ich anstreben wollte ganz klar. Es gab kein Wenn und Aber. Nach einiger Zeit nahm ich wahr, dass der Eindruck verflachte. Die Gedanken kamen wieder. Wir wollten ja weiter, uns die Fußgängerzone mit den alten Häusern noch anschauen.
Das ist das Rajasguna. Es treibt uns weiter, lässt uns nicht ruhen. Wenn du ganz erfüllt mit ”Ich will…” und ”Ich muss unbedingt..” bist , dann dominiert Rajas. Du kannst es auch spüren, wenn dein Denken und Empfinden von Wut oder Ärger bestimmt wird. Dann ist es oft nicht möglich, klar und einigermaßen objektiv zu denken, weil Rajas Sattva überlagert. Auch in der unbelebten Welt kannst du Rajas beobachten. Im Blitz, im schnell fließenden Wasser usw.
Das dritte Guna ist Tamas, das Träge, Dunkle, Beharrende.
Mutlosigkeit, Gefühle von Schwäche und Minderwertigkeit, geistige und körperliche Trägheit, Faulheit usw. sind Ausdruck von Tamas. Es ist das Schwere in uns, das was uns hinter dem Ofen hält, wenn sich ein Teil in uns gerne den Wind um die Nase wehen lassen möchte. Dann kommen Gedanken, dass es ja doch keinen Sinn hat, mal was Neues zu probieren und man sowieso nicht gut genug ist. Du kennst das alles. Tamas zieht nach unten und hält zurück. In einem Fußbodenbelag aus Marmorplatten dominiert auch Tamas. Aber es ist auch Rajas vorhanden, sonst würden die Platten ewig halten. Selbst Sattva ist in winziger Menge, unmerklich vorhanden.
Alle drei Gunas sind also ständig präsent. Auch wenn immer eines gerade dominiert, so liegt es in ihrer Natur, dass eines der beiden anderen danach drängt, die Oberhand zu gewinnen. Diese Tatsache führt zu einer Überlegung, die zwei Seiten hat.
Wir können uns darauf verlassen, dass kein Zustand von Dauer ist. Das ist einerseits beruhigend. Wenn du dich zum Beispiel an einem Tag mutlos fühlst und ohne Antrieb bist, wenn also Tamas dominiert, so kannst du sicher sein, dass sich das früher oder später ändert. Das bedeutet, dass du dir keine Selbstvorwürfe zu machen brauchst, weil du nichts auf die Beine gestellt hast. Wenn du dich mal beobachtest, dann wirst du sehen, dass das Belastende nicht der Zustand ist, in dem du dich gerade befindest, sondern das, was du daraus machst. Was ist Schlimmes daran, wenn du mal nicht aktiv und dynamisch bist? Könnte es nicht sein, dass dann Zeit dafür wäre, eine andere Seite deiner Persönlichkeit zu spüren? Die der Schwäche, der Trauer, der Unsicherheit, des Zweifels. Sie zulassen zu können, bedeutet, ganzheitlich zu werden und wieder ein Stück Reife zu gewinnen. Annehmen können bedeutet, das positive in jeder Situation, wahrzunehmen. Mit dem Adjektiv ”positiv” meine ich immer etwas, was uns persönlich weiterbringt. So könntest du die gefühlte Mutlosigkeit als eine Zeit des nach Innengehens empfinden und dabei an die Sicherheit stoßen, die die Stille gibt.