Warum eigentlich Yoga?

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Ich habe mich im Lauf der Jahrzehnte, in denen ich mich mit Yoga beschäftige, immer wieder mal gefragt, wozu eigentlich?

Man muss sich ja doch einigen Beschränkungen unterwerfen. Aber was sage ich, einige? Es sind eine ganze Menge. Im Grunde muss man seine ganze Lebensführung umkrempeln. Kein Kaffee mehr, kein schwarzer Tee, keine scharfen Gewürze, kein Fleisch, ein geregelter Tagesablauf, kein Alkohol. Mancher mag sich bei dieser Liste fragen: „Wozu lebe ich denn dann eigentlich?“

Das ist eine sehr berechtigte Frage, denn es sind ja Dinge, die das Leben lebenswert machen. Wem gefällt es nicht, abends mit Freunden bei einer Flasche Wein zusammen zu sitzen oder in Restaurants nett essen zu gehen? Da wird es schon mal später und für die morgendliche Meditation ist es dann recht knapp. Kann man ja auch mal ausfallen lassen, oder?

Warum macht man Yoga? Man will ruhiger werden. Man möchte etwas für seinen Körper tun. Man möchte weniger Stress anfällig sein, sich besser konzentrieren oder entspannen können. Einige der Aspiranten möchten gar das ultimative Ziel, die Erkenntnis der absoluten Realität, erreichen.

Ich kenne eine ganze Reihe Menschen, die nie von Yoga gehört haben und die ich mit Fug und Recht als gute Menschen bezeichnen möchte. Sie haben einen positiven Ausblick auf die Welt. Sie sind mitfühlend ihren Mitmenschen gegenüber. In ihrer Lebensführung sind sie mäßig. Sie trinken ein Glas Wein und genießen ihren Sonntagsbraten nach der Kirche. Manchmal werden sie sicher ärgerlich und auch mal wütend, aber wer würde das nicht hie und da?

Auf der anderen Seite sehe ich dann die „Yogis“ mit dem Anspruch, das Gelbe vom Ei gefunden zu haben und zuweilen doch auch mit einer gewissen Arroganz auf das „einfache Volk“ herabblickend.

Patanjali definiert in seinen Sutren Yoga so: „ Citta vrtti nirodhah.“ Yoga ist die Unterdrückung der Fluktuationen des Denkens. Die Gedanken sollen nicht mehr wie aufgescheuchte Pferde hin und her galoppieren, sondern in ruhigem Fluss auf einen Punkt gerichtet sein. Dann, so heißt es, erkennt der Mensch sich selbst. Diesen Zustand nennt man Samadhi.

Ich habe in den über vierzig Jahren meiner Yogapraxis außer meinem Lehrer Dr. Jayadeva Yogendra keinen getroffen, der dieses Ziel erreicht hätte, mich selbst eingeschlossen. Jeder, der schon mal versucht hat, sich zwei Minuten auf einen Punkt zu konzentrieren, kann das gut verstehen. Warum also Yoga? Entspannung und Stressreduktion kann man auch anders erreichen und muss nicht seinen ganzen Lebenswandel umkrempeln.

Ich habe sei drei Wochen ein Leiden, das mich nicht schlafen lässt. Angefangen hat es damit, dass ich in sehr verkrampfter Haltung auf einer Leiter stand und mit einer schweren Schlagbohrmaschine versuchte, Löcher in die Hauswand zu bohren, um einen Kabelkanal zu befestigen. Am Tag darauf fing es an. Tagsüber ist alles in Ordnung, aber nachts beginnt es, in den Beinen vom Gesäß abwärts zu ziehen und tut richtig weh. Der Arzt sagt, es ist Ischias. Das kann es aber nicht sein, denn der Ischiasnerv würde sich auch tagsüber bei Bewegung nicht beruhigen. Er verschreibt Schmerztabletten. Nun kann man die nur für eine sehr beschränkte Zeit nehmen wegen der Nebenwirkungen und Heilung bringen sie ja auch nicht. Der Physiotherapeut meint, irgendwas mit den Faszien sei es. Da hätte sich was verhärtet und der Nerv, welcher auch immer, könne sich nicht frei bewegen und werde auch nicht richtig ernährt, wenn keine Muskelbewegung da ist.

Was also tun?

Asanas ausführen, die die Rückenmuskeln stärken und entspannen. Die Bandscheiben entlasten und ihre Versorgung mit Nährstoffen fördern. Die hintere Beinmuskulatur dehnen. Entspannung in die Beckenregion bringen. Die Biegsamkeit der Wirbelsäule durch Dehnung und Drehung fördern, um die zwischen den Wirbeln austretenden Nerven, die vielleicht belastet sind, zu entlasten.

Da bei dem ganzen Krankheitsbild auch Hitzeerscheinungen auftreten, mehr auf sattvische Ernährung achten. Das bedeutet, weniger „heißmachende“ Speisen zu sich nehmen. Auf der philosophisch – psychologischen Ebene sich fragen, was einem das Ganze zu sagen hat? Hier kommt auch die Frage des Annehmens dazu. Die Antworten mit dem Gesamtkontext des eigenen Daseins in Verbindung bringen.

Ich habe wieder einmal ganz deutlich erfahren, dass Yoga ein einmaliges System ist, welches alle Aspekte des menschlichen Daseins abdeckt. Nach vierzig Jahren kann ich mich darin sicher bewegen und es nutzen, obwohl ich nicht erleuchtet bin. Aber es bietet eine Heimat, die mich aufnimmt, wenn es erforderlich ist.

Wo fände ich das sonst? Um noch einmal auf die lieben Menschen zu kommen, von denen ich oben sprach: Bekommen sie Antworten für ihre körperlichen Gebrechen und erkennen sie den Zusammenhang mit der Ernährung und die Sinnhaftigkeit eines Geschehens? Ich zweifle daran.

Man muss Yoga nicht verwerfen, wenn man Samadhi nicht erreicht. In diesem System ist Platz für alle Stufen der individuellen Entwicklung.

Schließlich wird man sich auch nicht vom Christentum abwenden, wenn man die Aussagen der Bergpredigt nicht verwirklichen kann.

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