… und mein Papa ist vielhundertmal stärker als deiner.“ So sprechen Kinder und so behalten wir diese Denke unser Leben lang bei.
Die Persönlichkeitsmodelle verschiedener psychologischer Schulen stimmen in Bezug auf die Funktionsweise unserer Wahrnehmung überein. Nehmen wir das Klienten zentrierte Modell nach Carl Rogers. Es besagt: Wir befinden uns in einem kontinuierlichen Wahrnehmungsprozess und unser Intellekt entscheidet, was wir in unser Selbstbild aufnehmen. Das heißt, wir kommunizieren ständig mit der Außenwelt und setzen uns mit ihr in Beziehung. Daraus bildet sich unsere Wahrnehmung über uns selbst. Das, was wir für uns, sowohl nach innen als auch nach außen, als zu uns passend empfinden, nehmen wir an. Anderes lehnen wir ab. Wir sagen dann: „Das bin ich.“
In Freuds Modell, in dem sich die Persönlichkeit aus Es, Ich und Über-Ich zusammensetzt, übernimmt das Ich, das wir als bewusstes Wahrnehmen ansehen, die Mittlerrolle zur Außenwelt. Das Es ist das Unterbewusste, Triebhafte, weitgehend Unkontrollierbare und das Über-Ich fungiert als moralische Instanz.
Das Es sagt: „Dich mache ich fertig, weil du mir im Weg stehst.“ Das Über-Ich meint: „Das kannst du doch nicht tun, wo bleibt dein Humanismus?“ Das Ich schließlich muss den Kompromiss finden, indem es sagt: „Fresse polieren wäre ja nett, geht aber aus verschiedenen Gründen nicht und aus lauter Menschenfreundlichkeit ganz auf meine Wünsche verzichten geht auch nicht, also rede ich mal ganz freundlich mit dem Typ, der mich nervt.“
In der Entwicklungspsychologie sagen wir, dass sich das heranwachsende Kind an den Rückmeldungen aus der Außenwelt in der Welt orientieren kann. Das ist Sozialerziehung.
Die wichtigste Rolle spielen bei diesem Prozess die Eltern. Sie leiten das Kind in die Welt hinaus und erweitern im Idealfall den Aktionsrahmen des Kindes entsprechend seiner wachsenden Kapazität zur Selbstbestimmung.
Nur – ideal läuft es nie ab. Da hagelt es willkürliche Ge- und Verbote. Da werden die Ängste und Wünsche der Eltern unreflektiert auf die Kinder übertragen. Fast nie kommt ein Mensch aus dem ganzen Erziehungsprozess und der Zeit des Heranwachsens so heraus, dass er zu sich sagt: „Das bin ich, und damit bin ich zufrieden!“
So steigen wir in den lebenslangen Prozess des sich mit anderen Vergleichens ein. Wir schielen permanent auf andere Meinungen. Wir fragen uns, ob der Andere besser ist als wir: dicker, dünner, stärker, größer, erfolgreicher usw.
Meistens ergibt sich daraus eine ganze Weltsicht. Was immer dann erlebt wird, wird in einen Vergleich zu einem anderen gesetzt: „Da war es schöner als dort. Dies hat besser geschmeckt als das. Der hat mich freundlicher angesehen als die. Dieses Wetter ist mir lieber als jenes usw.“
Man kann spirituelles Wachstum von verschiedenen Seiten her definieren. Ein wesentliches Merkmal ist aber, wenn man aus diesem Käfig des Vergleichens herauskommt. Dazu gehört auch eine zunehmende Unabhängigkeit von Sympathien und Antipathien in Bezug auf andere Menschen. Leider ist das nicht zum Nulltarif zu haben. Es ist ein langer, teilweise schmerzhafter Prozess.
Mit zunehmendem Fortschritt ist man mehr bei sich. Dies fühlt sich anfänglich befremdlich an, denn das ständige „sich zu anderen in Beziehung setzen“ ist natürlich mit mehr oder weniger starken Gefühlen verbunden. Wir lieben ja starke Gefühle, sogar den Ärger. Sonst würden wir uns nicht immer wieder mit Wonne hineinstürzen. Diese „Leiden“- schaftlichkeit weicht einer gelasseneren inneren Unabhängigkeit.
Das Motto, unter dem diese Erfahrung einzuordnen wäre, könnte vielleicht lauten:
„Wenn’s denn so ist, dann ist es so, das entscheidet aber nicht, wer ich bin!“