Gegenwärtig ist ein Dauerthema, das die Katholische Kirche betrifft, wieder einmal mit aller Macht an die Oberfläche gedrungen. Es ist der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen.
Der emeritierte Papst Benedikt bereut, was vorgefallen ist und betet für die Opfer. Dies empfinde ich als pure Blasphemie. In den jetzt vorgelegten Untersuchungsberichten wird dargelegt, dass er schon in seiner Zeit als Bischof Kenntnis von Vorfällen hatte. Er war später Leiter der Glaubenskongregation, der Nachfolgeinstitution der Inquisition und ist mit Sicherheit mit allen organisatorischen Vorgängen in der allein seligmachenden Kirche vertraut. Später war er Papst, also an ihrer Spitze.
Wozu sollte man an die Spitze einer Organisation wollen?
Es gibt einige Gründe:
Man will etwas verändern.
Man will etwas bewahren.
Man will eigene Interessen wahrnehmen.
Er scheint sich für die zweite Möglichkeit entschieden zu haben. Man muss immer wieder betonen, dass sich die Katholische Kirche nicht nur als eine spirituelle, sondern auch als eine politische Macht sieht. Man hatte Jahrhunderte über einen eigenen Staat, der weite Teile Italiens umfasste und betreibt auch heute einen riesigen diplomatischen Apparat. Da geht es um Macht und Einfluss. Da kann man keine Unruhe gebrauchen. Da will man alles intern möglichst lautlos regeln. Veränderungen bringen nur Unruhe ins System. Aber – das ist kein alleiniges Privileg dieser Kirche. Solche Tendenzen findet man in allen Organisationen.
Es gibt nur einen wesentlichen Unterschied! Alle Mitglieder des Klerus müssen zölibatär leben. So lange das nicht geändert wird, so lange wird es Missbrauch geben und so lange sind Gebete für die Opfer und Entschuldigungen reine Heuchelei.
Was hat es mit dem Zölibat auf sich? Aus dem Achtfachen Pfad des Yoga kennen wir den Begriff Isvara Pranidhana. Das bedeutet Hingabe an Gott.
Der Kommentator der Yogasutras, Aranja, schreibt bezüglich Isvara – Pranidhana (Hingabe an Gott, Selbstaufgabe):
„Wer sein Denken in das ruhige Wirken Gottes einfügt, fügt sich in Gott und Gott in sich selbst. Wenn wir annehmen, dass alle unvermeidbaren Anstrengungen von ihm getan werden, kann alles Verlangen nach den Früchten eigenen Handelns aufgegeben werden und man ist somit fähig, alles Handeln an Gott zu übertragen. So ein Mensch betrachtet sich selbst und sein Handeln in Gott ruhend und ist somit in perfektem Frieden, bis seine Existenz endet.“
Normale menschliche und damit zwangsläufig auch sexuelle Liebe wendet sich an einen Menschen.
Priester sollen ihr Leben im Sinne dessen, was Aranja oben sagt ausrichten.
„Die Kleriker sind gehalten, vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zu wahren; deshalb sind sie zum Zölibat verpflichtet, der eine besondere Gabe Gottes ist, durch welche die geistlichen Amtsträger leichter mit ungeteiltem Herzen Christus anhangen und sich freier dem Dienst an Gott und den Menschen widmen können.“
– Codex Iuris Canonici (Wikipedia)
Mein Aufenthalt im Yogainstitut in Mumbai hatte klösterliche Züge und den Charakter der alten Guru-Schülerbeziehung. Es war eine ganzheitliche Schulung von Körper, Geist und Seele. Den Anweisungen des Gurus war ohne Hinterfragen Folge zu leisten, denn er weiß mehr als ich. Der Ausgang sollte auf ein Minimum beschränkt sein. Der Tag war streng geregelt. Lehre, Studium, Arbeit und Ruhe wechselten sich ab und daran hatte man sich zu halten. Abends um 22.00 hieß es Licht aus.
Ein besonderes Augenmerk lag auf der Ernährung. Sie sollte sattvisch sein. Das heißt: Leicht verdaulich, nahrhaft und nicht erregend. Eine Mahlzeit bestand aus einem Schälchen Dal, das sind Linsen, etwas Joghurt und zwei bis drei Chapatis, das sind kleine Pfannkuchen ohne Ei. Richtig satt, wie wir es gewöhnt sind, wird man davon nicht. Der Magen soll nur zu zwei Dritteln gefüllt sein. Kaffee, Tee, Fleisch, Alkohol, scharfe Gewürze, Dosennahrung, Salz sind nicht erlaubt. Sie sind rajasic, das heißt heiß machend oder tamasik, das bedeutet träge machend.
Durch solche Ernährung im Verbund mit klösterlicher Abgeschiedenheit und geistiger Disziplin verschwindet sexuelles Verlangen fast vollständig.
Das heißt, eine vollkommene Hinwendung zu Gott mit Abwendung von profaner Liebe bedarf eines umfassenden Konzepts. Die Yogis wissen das seit alters her.
Ich bezweifle nicht, dass es innerhalb der Katholischen Kirche viele gibt, die mit dem Zölibat irgendwie klar kommen. Aber, dann gibt es auch die anderen.
Wenn wir uns die berühmte Pfarrhausküche mit ihren deftigen Bratengerichten ansehen und das Bier dazu nehmen, das die Mönche seit Jahrhunderten brauen, dazu den Wein aus den klösterlichen Kellern, dazu die gleiche Reizüberflutung, der auch die Profanen ausgeliefert sind, ist das Zölibat eine permanente Überforderung, denn all das macht geil!
(Ich mag dieses Modewort normal überhaupt nicht, mit Ausnahme der ursprünglichen Bedeutung so wie hier. Heutzutage ist ja schon ein Sofa „geil“.)
Vom Sinn her ist eine zölibatäre Lebensweise etwas zutiefst Freiwilliges. Es ist eine Abwendung von der Welt.
So lange diese Kirche das nicht anerkennt und die nötigen Änderungen einleitet, so lange wird es Missbrauch mit Kindern geben. Kinder deshalb, weil man sich die gefügig machen kann. Das gelingt mit erwachsenen Frauen und Männern, mit denen man heimlichen Sex haben kann, erheblich schwieriger.