Wer auf ausgewogene Sprache und auf zurückhaltende Meinungsäußerung in Bezug auf aktuelles Geschehen Wert legt, möge bitte etwas anderes lesen, denn heute ist er mit diesen Bedürfnissen hier fehl am Platz. Das Folgende ist Polemik mit Bezug zur Wahrheit.
Trotz Altersmildheit und philosophischer Distanz ist es manchmal nötig, sich aufzuregen. Jesus vertrieb die Händler auch mit der Peitsche aus dem Tempel. Insofern befinde ich mich in guter Gesellschaft.
Zunächst ein bisschen Theorie: Wie schon oft beschrieben besteht die materielle Welt aus drei Grundingredienzien (Gunas). Das ist Rajas, das Vorwärtsstrebende. Tamas, das Träge, Lahme, Faule. Und Sattva, das Geistige, Ausgewogene. Wir sind ebenfalls Teil der Materie, auch unser Denken (Chitta). Wenn wir durch konsequentes Üben dieses Denken so fein (sattvisch) gemacht haben, erkennt es den Purusha, den Geist oder das, was der Mensch wirklich ist und ist damit aus den Fängen der Materie mit ihrem ewigen Wechsel und Auf und Ab befreit.
Und nur dann wirklich befreit!
Bis dahin sind wir auf der Gefühlsachterbahn. Ob wir wollen oder nicht. Und wenn sich einer hinsetzt und ein heiliges Grinsen aufsetzt und so tut, als wäre er jenseits von Gut und Böse, so ist das Show und sonst gar nichts.
Vor kurzem schmiss der Fischer Verlag nach vierzig Jahren die renommierte, mutige Autorin Monika Maron hinaus. Grund: Sie hatte ein paar Essays einer befreundeten Dresdener Buchhändlerin, die auch mit dem rechten Anonaios Verlag zusammenarbeitet, zur Verfügung gestellt. Wer nicht brav auf Linie ist und auch auf seine Freunde aufpasst, wird ins Abseits gestellt. Bei den Nazis nannte man das Sippenhaft! Maron war in der DDR verfemt und konnte ihren ersten Roman nur im Westen bei eben diesem Fischer Verlag veröffentlichen. Sie weiß also, was Meinungsterror ist.
In Deutschland ist die Debattenkultur, die Offenheit, seine Meinung zu vertreten, den Bach hinunter gegangen.
„Oskar Roehler hat im Roman «Selbstverfickung» den Wetterumschwung ziemlich präzise vorausgesagt, als er vor drei Jahren seinen Protagonisten aus unruhigen Träumen erwachen und in kafkaesker Lakonik feststellen ließ, «dass er nicht mehr linksliberal war». Was in dieser Gesellschaft «schlimmer» sei, als sich «in ein ungeheures Ungeziefer verwandelt zu haben».“ (NZZ, 2.12.2020)
Kürzlich wurde in Zürich ein Antrag bei einer Behörde zurückgewiesen, weil er nicht in gendergerechter Sprache abgefasst war. Erst ein Gericht sorgte dafür, dass dazu niemand gezwungen werden kann. Sicher, Sprache schafft Bewusstsein, aber wenn sie mit der Knute ins Bewusstsein der Bevölkerung hineingeprügelt wird, dann erreicht sie das Gegenteil. Toleranz kann nie mit intolerantem Verhalten erreicht werden.
Vor ein paar Monaten schleuderte ein kleines Mädchen der UNO-Vollversammlung ihr „How dare you“ vor die verdatterten Köpfe.
Das heutige Bild zeigt den Verfasser dieses Artikels im Alter von circa fünf Jahren. Ich hatte Stiefel an, die lange halten mussten. Wenn wir Steine kickten, gab es ein paar hinter die Löffel, weil die Kappen dadurch schneller abgenützt wurden. Die Hose nähte mein Opa „zum Hineinwachsen“. Die langen Strümpfe wurden von Strapsen gehalten. Eine lange Hose gab es nicht. Ein Fahrrad gab es auch nicht, weil ich ja „noch wachsen würde“, und was soll man dann mit dem zu kleinen Fahrrad machen? Die erste Banane oder Mandarine sah ich mit 8 oder 9. Wenn ein Spielzeug kaputt ging, war’s das. Etwas Neues gab es nicht: „Hättest du halt aufpassen müssen!“ Man weiß, dass die ersten Jahre prägend für das spätere Verhalten sind. Ich und meine Generation verschwendet nichts. Papiertüten vom Bäcker werden auch heute noch aufgehoben und mehrfach verwendet. Wie so vieles.
Jeder kann vergleichen, wie sich das bei den Nachfolgegenerationen geändert hat. Ich beobachte dort eine durchgängige Achtlosigkeit gegenüber Dingen. Aufpassen und sorgsam sein scheint dort so was von uncool.
Dass sich diese Göre in ihrem Sattsein einfach hinstellen darf und denen, die sie dazu erst in die Lage versetzt haben, so einen Satz hinschleudern kann, ist unverschämt und zeugt von einer verqueren Realitätswahrnehmung. Da antworte ich heute: „How dare you?“
Zudem ist absolut kein Risiko dabei. Die stromlinienförmigen Politiker trauen sich kein Wörtchen dagegen zu sagen. Wenn sich eine Lisa Neubauer hinstellt und den Älteren Verhaltensmaßstäbe vorsetzen will, dann traut sich keiner zu widersprechen.
Das Fundament, auf dem das für sie möglich ist, wurde von uns, den 68ern, Hippies und Gammlern gebaut. Für uns war jede noch so kleine Abweichung von der damals herrschenden Norm mit hohen Risiken verbunden. Wenn das Haar einen Zentimeter zu lang war, dann wurde man mit einer strickten Anweisung zum Friseur geschickt. Vorher brauchte man sich gar nicht mehr sehen zu lassen.
Seit vier Jahren wird auf den scheidenden Präsidenten Trump eingeprügelt. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich ihn auch nicht für einen Sympathieträger halte. Wenn ich allerdings in das Hauptkrisengebiet dieser Erde, den Nahen Osten, schaue, so hat er dort durch die strikten Sanktionen gegen das Terrorregime des Iran einen Prozess der Versöhnung zwischen Arabern und Israel in Gang gebracht, den keiner der deutschen Politiker zustande gebracht hätte, obwohl wir doch in unserer Staatsdoktrin den Schutz des Staates Israel stehen haben. Neulich flog eine El Al-Maschine nach Dubai.
Im Gegenteil, unser Bundesgrüßaugust Steinmeier gratulierte den Ajatollahs zum 40jährigen Unterdrückungsjubiläum von Andersdenkenden und vor allem der Frauen. Zur Erinnerung: In deren Staatsdoktrin ist die Vernichtung Israels festgeschrieben.
Aber wir sind ja ein offenes, diskussionsfreudiges Land mit der wöchentlichen Anne Will-Maischberger- Lanz- usw.- Show. Es sind nur leider immer dieselben Leute mit denselben vorgefertigten Meinungen.
Frage sich jeder ab und zu selbst, ob er sich einfach so traut, im Kreis von anderen seine Meinung zu äußern.
Wenn ich jetzt Appetit darauf hätte, würde ich ein Zigeunerschnitzel und als Nachtisch einen Mohrenkopf essen.