Schuldig?

IMG_20190818_193024Unser Denken ist ein wundervolles und auch schreckliches Ding. Es führt uns in geistige Höhen und wirft uns Augenblicke danach in die Hölle. Es lässt uns Maschinen erfinden, mit denen wir die Welt verändern, die uns aber auch an den Rand der Abgrunds stürzen.
Es entwickelt Medikamente, die Krankheiten heilen, die die Menschheit seit Jahrtausenden peinigen. Und es erfindet mit der gleichen Fähigkeit Designerdrogen, die eine Menschenleben zerstören können.

Nichts ist völlig gut oder auch völlig schlecht. Immer sind die beiden Polaritäten vorhanden. Mit jedem Tun produzieren wir sogenanntes Gutes und sogenanntes Schlechtes. Es ist alles eine Frage des Standpunktes. Zu Beginn einer Schlacht erflehen beide Seiten die Hilfe Gottes für ihre „gerechte „Sache. Wer hat Recht? Wie sollte sich Gott entscheiden? Wenn wir in unserem Garten arbeiten und liebevoll Pflänzchen setzen, die uns später ernähren oder mit ihrer Farbenpracht erfreuen, schaffen wir Gutes, weil es uns geistig und körperlich erhält. Gleichzeitig töten wir Würmer, Käfer und eine Vielzahl Organismen, die im Boden leben. Wer lebt muss handeln und ist der Gewalt unterworfen, passiv und aktiv. Müssen wir uns deshalb grämen und sündig fühlen? Wir kämen aus dem sich schlecht fühlen nicht mehr heraus.

 

Ich möchte an dieser Stelle eine kurzen Ausflug in zwei unterschiedliche kulturelle und religiöse Traditionen unternehmen wobei für mich, als ich das erste mal davon hörte, deutlich wurde, dass dieses sich schlecht fühlen, ein typisches Merkmal unserer christlichen Religion ist.

Unlängst besuchte ich einen Vortrag über Fundamentalismus im Islam. Der Referent, dessen Namen ich mir leider nicht gemerkt habe sprach zunächst über die Erbsünde als einer der Pfeiler unserer christlichen Religion. Indem das erste Menschenpaar die ursprünglich von Gott vorgesehene Vollkommenheit verließ, weil es sich einem Befehl durch Einflüsterung der Schlange widersetzte, fiel es in den Zustand der Sünde, der sich von jetzt an als Ursprung des Bösen im Menschengeschlecht über die Zeitalter hinweg manifestierte. Gleichzeitig sollte damit der allmächtige Gott von der Verantwortung für das Böse in der Welt entlastet werden. „ Das durch sie (die ersten Menschen) allen Menschen in der biologischen Fortpflanzung mitgeteilte Böse habe als Erbsünde seither die Entfaltung des guten Willens Gottes und die Durchsetzung des Heils unter den Menschen verhindert.“ (Enzyklopädie 2000, S.1742, Verlag des Wissens, Stuttgart/Zürich 1970). Dieses Dogma ist in beiden großen Konfessionen anerkannt. Auch wenn neuere Theologen zunehmend von der „Erlösungsbedürftigkeit“ des Menschen sprechen und der Begriff der Erbsünde weniger gebraucht wird, bleibt der Gedanke der Schuld an den Zuständen, wie sie sind erhalten. Eine wahrhaft gigantische Last! Den meisten von uns sind bei Konflikten Gedanken an die eigene Schuld sehr vertraut. Wir suchen zunächst den eigenen Anteil. Da wir immer in irgendeiner Form als Handelnde beteiligt sind, sind wir auch immer „schuld“. Gemäß dem Gesetz, dass nichts vollständig positiv oder negativ ist, hat aber auch dieses Denken ein Gutes. Es verleit uns die Fähigkeit der Selbstreflexion und ist damit der Ursprung für Veränderung und Entwicklung, sowohl im individuellen, als auch im gesellschaftlichen Bereich.

Dem Islam ist dieses Denken vollkommen fremd. Inschallah – wie Gott will, ist nicht nur so dahingesagt, sondern archetypisch tief in Individuum und Gesellschaft verankert. Alles ist Gottes Wille, alles ist in seiner Hand. Der Mensch fühlt sich dem unterworfen und hat folglich keinen Anteil an der Qualität seines   Verhaltens oder auch am Zustand der Welt. Wenn man so will, ist das Denken des Moslems insofern gesünder, insofern es von ständigen Selbstzweifeln befreit ist. Andererseits fehlt hier der Zwang zur Veränderung, der sich aus der Reflexion über das Dasein ergibt. Dies ist auch der Grund, warum wir im gegenwärtigen Islam Tendenzen wahrnehmen, die schwärzer als das schwärzeste Mittelalter sind.

Unser Denken ist also kulturellen Prägungen unterworfen, denen wir uns nicht entziehen können. Für uns ergibt sich daraus, dass ein „sich schlecht fühlen“ nicht zur Gänze in unserer Verantwortung liegt.

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