„Der mit den Krähen schimpft.“

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Ein Yogi ist durch nichts zu erschüttern. In tiefer innerer Ruhe verharrend, lässt er die Ereignisse der Welt gelassen an sich vorbeiziehen. Soweit unser Bild von diesen außergewöhnlichen Menschen.

Ich hatte das Glück, meine Yogalehrerausbildung bei einem Yogi alter Schule machen zu dürfen: Shri Yogendra, der Gründer des Yogainstitutes. Er war Schüler von Paramahamsa Madhavdasji und durchlief das klassische indische Guru – Chela Lehrverhältnis. Beiden wird nachgesagt, dass sie die Fähigkeit zu sogenannten Siddhis, yogischen Wundertaten, hatten. Shri Madhavdasji zum Beispiel ging im Alter von 120 Jahren in seine Wohnhöhle, nachdem er seinen Jüngern mitgeteilt hatte, dass er nun sterben werde, was dann auch geschah.

In einem Film vom Sterben des nicht unumstrittenen Osho konnte man dasselbe beobachten.

Von „Founder“, wie wir Shri Yogendra nannten, war bekannt, dass er seinen Herzschlag willentlich verlangsamen konnte. Umso erstaunter war ich eines Tages, als ich ihn auf dem Balkon des Instituts stehen sah, wo er voller Ärger die Krähen, die ihn umkreisten, beschimpfte. Erstaunt ist eigentlich eine Untertreibung, ich war erschüttert! Wie kann es sein, dass ein richtiger Yogi so ausflippt?

Jeder Indienfan kennt das Ramayana. Sein Schöpfer, Valmiki, saß so lange in tiefer Meditation, dass die Ameisen um ihn herum einen Hügel bauten. Sein Name bedeutet „Ameisenhaufen“. So stellte ich mir damals einen richtigen Yogi vor.

Ich war enttäuscht. Wenn wir uns dieses Wort einmal genau ansehen, dann verliert es seine negative Bedeutung. Dann bedeutet es nämlich das Ende der Täuschung.

In einem Nachbardorf ca. zwei Kilometer entfernt lebt ein alter Hund. Er ist unser Freund, ist sanft und liegt oft völlig entspannt auf der Straße und man muss um ihn herum fahren. Er ist inzwischen über 90 Menschenjahre alt. Trotzdem, so erzählte sein Besitzer neulich, reißt er immer wieder aus, wenn eine Hündin läufig ist. Da kann man ihn dann in den Nachbardörfern, wo man ihn kennt, abholen.

Ob der „alte Herr“ mit den Anforderungen, die sich ihm bei seinen Ausflügen stellen überhaupt noch klarkommt in der Konkurrenz zu seinen jüngeren Kollegen, ist die Frage?

Das Geschehen zeigt aber, dass die Leidenschaft für das Leben ungebrochen bis in den Tod geht. Dabei ist die Erklärung ganz einfach, wenn man denn die Yogaphilosophie versteht.

Samadhi, die achte und letzte Stufe des Achtfachen Pfades, heißt Vereinigung mit Gott. Es ist reine intuitive Erkenntnis. Der Erkennende und das Erkannte ist eins. Es bedeutet, dass da nicht einer ist, der meditiert oder erkennt. Es bedeute Einheit. Der Mensch in diesem Zustand hat sich aus dem Reigen der Gunas gelöst. Er ist ent- täuscht.

Patanjalis Yogasutren zeigen den Weg dahin. Es ist ein langer und konsequenter Weg, der, wenn man der Karmatheorie Glauben schenkt, über ein Leben hinausgeht. In der Bhagavad Gita antwortet Krishna auf die Frage, ob irgendetwas verloren geht, wenn man in einem Leben den spirituellen Pfad verlässt, dass man in einem späteren Leben an der Stelle wieder beginnt, an der man aufgehört hat.

Alle sind also irgendwo „auf dem Weg“. Auf dem Weg sein heißt aber auch, dass man das Ziel noch nicht erreicht hat und folglich noch „auf die Krähen schimpft“.

Man sollte sich bewusst sein, dass sich das Schicksal eines Menschen von dem aller anderen unterscheidet. Insofern sind die Dinge, die einem Individuum wichtig sind, für ein anderes vollkommen unwichtig.

Was habe ich in meinen langen Jahren, während ich mich mit dieser Thematik beschäftige, nicht schon alles an Unsinn gehört: „Der trinkt noch schwarzen Tee, da bin ich schon lange durch damit.“ „Die interessiert sich noch für Politik, dabei sollte sich der Yogaaspirant doch weitgehend aus der Welt zurückziehen.“

Es gibt so etwas wie spirituelle Arroganz. Hüten wir uns davor!

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