Vertrauen

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Mein Großvater war Schneidermeister. Als ich klein war, spielte ich in seiner Werkstatt mit Stoffresten und wenn Kundschaft kam, wurde der Vorhang zugezogen, um die Diskretion zu wahren, aber ich konnte trotzdem durch einen Spalt sehen.

Dieser fleißige, unscheinbare Mann, der zwei Weltkriege überlebte und fünf Kinder großzog, hat sein Dorf nur einmal im Leben verlassen, um drei Jahre eine Lehre bei einem Meister zu machen. Die Entfernung zum Lehrort betrug sechzig Kilometer. Während meiner Kindheit wurden um 12 Uhr mittags immer die Nachrichten gehört und täglich kam die lokale Zeitung, in der aber meistens nur die Lokalnachrichten gelesen wurden.

Wenn man das mit der heutigen Zeit vergleicht, war die Fülle an Informationen und Möglichkeiten, die der Einzelne hatte, recht gering. Man könnte also davon ausgehen, dass das Denken nicht so viel zu verarbeiten hatte und der Mensch folglich innerlich ruhiger war. Ich bezweifle das. Wenn ich mich an meinen Opa erinnere, dann hatte auch er seine Sorgen und musste sich mit Dingen auseinandersetzen, die ihn beunruhigten. Wenn man zu z.B. zu Besuch kam, drang er darauf, dass man rechtzeitig vor dem Einbruch der Dunkelheit wieder nach Hause fuhr. Ich erinnere mich, dass er in manchen Situationen hektisch in seiner Werkstatt hantierte.

Natürlich kann man innere Unruhe durch das Filtern von Eindrücken, die ins Denken kommen, verringern. Yogis sind da sehr penibel, denn jeder Eindruck wird gespeichert und entwickelt sein Eigenleben. Wir nennen diese gespeicherten Eindrücke Samskaras. Dieses Filtern ist eine essentielle Voraussetzung für ein weniger beunruhigtes Denken. Andererseits bietet es keine Gewähr für innere Ruhe. Ein Gedanke kann uns genauso in Unruhe versetzen wie tausend davon. Wir kennen das Martyrium der frühen christlichen Einsiedler auf dem Sinai. Manche wurden durch die inwendigen Gedankenstürme in den Wahnsinn getrieben, denn unzählige Eindrücke sind ja schon vorhanden und wenn sie durch irgendein Erlebnis, einen Gedanken oder ein Gefühl an die Oberfläche kommen, entfalten sie Aktivität. Wir kennen im Yoga den Begriff Ishvara pranidhana. Er bedeutet Hingabe an eine höhere Macht oder Gott. Es ist eine bewusste Technik, die auch Patanjali in seinen Yoga Sutren erwähnt. Ohne etwas Nachdenken ist das allerdings nicht zu verwirklichen. Wir haben ja den Kopf, um zu denken. So sollten wir uns immer wieder klarmachen, was wir bewirken können. Welchen Einfluss haben wir? Wo liegen unsere Pflichten? Die ganze Welt ist ein Narrenschiff. Bayer fusioniert mit Monsanto und stellt jetzt noch mehr Pestizide zu einem günstigeren Preis her. Die Rohingya werden aus Burma vertrieben. Flüchtlinge überfallen eine Joggerin usw… Die Liste ist endlos.

Wenn ich jetzt dafür plädiere, sich nicht um alles zu kümmern, so will ich keiner Herzlosigkeit das Wort reden. Es ist einfach eine rationale Überlegung, sich zu fragen: „Kann ich oder will ich was tun?“ Selbst wenn ich an der Welt und ihren Problemen interessiert bin, so ist doch die erste Priorität das eigene Bewusstsein oder Leben. Es nützt niemandem, wenn man sich in Sorgen und Betroffenheiten verliert. Im Gegenteil, es macht krank und wirkt sich schädlich auf unser näheres Umfeld aus. Hier nämlich läge unser Betätigungsfeld. Hier können wir etwas tun. Hier sind wir gefordert.

Eine andere Überlegung ist, dass alles seine Zeit braucht. Dinge, die uns betreffen, zum Beispiel unerwünschte Verhaltensweisen oder Ängste, lassen sich nicht einfach wegschieben. Manches dauert ein ganzes Leben, bis es sich auflöst. Im Großen entstehen Kulturen und Reiche, die unverrückbar erscheinen. Sie verschwinden und Neues entsteht. Im Moment glauben wir, dass wir das Weltklima verändern oder auch steuern können. Das mag sein, aber wir als Einzelne können nur einen ganz geringen Teil dazu tun. Alle anderen Gedanken sind müßig.

Wir sollten uns bei jedem Ding, das unseren Weg kreuzt, fragen, wo unser Anteil liegt. Selbst wenn wir feststellen, dass Handeln erforderlich ist, haben wir so wenig Einfluss auf das Ergebnis.

All diese Überlegungen können dazu führen, Demut zu entwickeln und sich der der höheren Macht anzuvertrauen. Es gibt ja diesen lustigen Satz: „Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm von deinen Plänen.“

Heute ist Reformationstag. Am Abend kommt eine Sendung über Martin Luther, die ich mir ansehen will. Tatsächlich habe ich keinerlei Einfluss, ob das wirklich geschehen wird. Im äußersten Fall kann mir der Himmel auf den Kopf fallen, wie Obelix sagen würde und ich bin jetzt um 11.16 Uhr noch vollkommen ahnungslos.

Hier wird die Idee des Karma Yogas greifbar, nämlich zu handeln, ohne nach dem Ergebnis zu fragen. Ich werde nachher in die Küche gehen, um zu kochen, dann eine Ruhepause einlegen, anschließend vielleicht Gitarre üben oder noch was schreiben. Aber ich habe kein Recht, zu erwarten, dass das alles wirklich so passieren wird. Vielleicht rutsche ich am Herd auf einer Nudel aus und finde mich im Krankenhaus wieder?

Das, was jetzt alles lustig klingt, ist die Realität. So ist unser Dasein.

Warum also nicht von vorneherein immer wieder versuchen, Ishvara pranidhana zu einem Lebensprinzip zu machen?

 

 

 

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