Es gibt Zeiten und Situationen im Leben, da verhalten wir uns in einer uns selbst nicht verständlichen Art. Wir wissen ganz genau, was eigentlich richtig wäre, aber wir tun gerade das Gegenteil, obwohl wir wissen, dass uns das nicht gut tut.
Mit diesem Verhalten befinden wir uns in prominenter Gesellschaft.
Kein Geringerer als der Apostel Paulus sagt in seinem 7. Brief an die Römer in Vers 19:
„Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.“
Man kann über die Lehren Paulus‘ denken wie man will, aber kein Mensch würde diesen Giganten für einen Schwächling halten. Wenn also so einer schon in Verhaltensweisen verfällt, die er für nicht richtig hält, dann lautet die Botschaft daraus, dass wir uns nicht ob einer Schwäche schämen und in Selbstvorwürfe verfallen müssen. Wir würden zu einer Last, die wir tragen noch eins drauf packen und uns noch mehr Energie rauben.
Wir alle kennen die guten Vorsätze zu Silvester und wir kennen auch die Ergebnisse. Fassungslos ertappen wir uns immer wieder bei alten Verhaltensweisen, die wir schon lange überwunden glaubten.
Was passiert da? Wie so oft bietet die östliche Karmatheorie eine schlüssige Erklärung. Karma ist das Gesetz von Ursache und Wirkung. Es gibt kurzfristig wirkende Karmas. Man schlägt sich mit dem Hammer auf den Daumen und es tut weh. Dann gibt es mittel und langfristig wirkende. Wir werden davon immer wieder eingeholt. Langfristig wirkende Karmas können über mehrere Leben wirkungsvoll sein. Wir brauchen dabei nicht nur an Negatives denken. Allein die Tatsache, dass wir hier in einem Land, auf einem Kontinent leben, der mit mildem Klima, demokratischen Regierungsformen und zivilisierten Verhaltensnormen gesegnet ist, zeigt, dass wir irgendwann, in früheren Daseinsformen Verdienst angehäuft haben. Aber es gibt eben auch das Gegenteil. Nämlich, dass wir irgendwann etwas ganz Schreckliches getan haben. Das muss nicht nur ein Ereignis sein. Vielleicht haben wir ein ganzes Leben oder einen langen Zeitraum in einer Position verbracht, die Böses hervorbrachte.
Wie können wir damit umgehen? Yoga schlägt vor, in Situationen, in denen wir uns fremdgesteuert und irgendwie einem fremden Willen unterworfen fühlen, bewusst zu handeln, dass wir uns sagen: „ O.k., hier bin ich also wieder. Hätte ich nicht gedacht, dass es wieder passiert, aber….Dann füge ich mich und versuche, möglichst positiv damit umzugehen.“ Auf diese Art, so heißt es, können wir die Wirkungen dieser langfristig wirkenden Karmas abtragen. Ich finde, es ist schon eine ganze Menge, wenn wir dann nicht in Selbsthass und Wut auf die ganze Menschheit verfallen. Wir spüren danach, dass es uns stärker macht, obwohl wir uns unerfreulich fühlen.
Die Psychologie bietet einen ganz anderen Ansatz zur Erklärung. Man weiß, dass in den ersten Jahren eines Menschenlebens die Grundstrukturen für späteres Verhalten angelegt werden. Als Kleinkind sind wir noch ganz dem Willen der Erwachsenen ausgeliefert. Wenn wir zum Beispiel erleben, dass wir immer wieder mit anderen verglichen werden und uns gesagt wird: „Schau mal, was der schon alles kann, und du…?“, dann gräbt sich das in unser Selbstbild ein, das noch von den Erwachsenen und nicht von uns selbst geformt wird.
So kann es passieren, dass wir im Verlauf des Lebens immer wieder in Schwächephasen verfallen, obwohl wir das gar nicht mehr nötig hätten, denn wir sind ja jetzt nicht mehr klein und hilflos. Und trotzdem leben wir nach wie vor die alten Strukturen. Also könnten uns Freunde empfehlen: „Sag‘ doch deinem Chef mal die Meinung, du kannst das!“, aber wir glauben ihnen nicht, weil wir nicht können.
Ich vermute mittlerweile, dass uns Stolpersteine in Form von nicht geliebten Verhaltensweisen im Leben bleiben. Im Bemühen, positiv damit umzugehen, liegt ein Sinn. Es sind Anreize, an uns zu arbeiten, weiter zu kommen. Es ist nicht der schwach, der der Schwachheit verfällt, sondern der, der resigniert. Stark ist, wer immer wieder aufsteht.
Philosophisch gesehen geht das auch nicht anders. Solange wir noch nicht unser wahres Selbst verwirklicht haben, im Yoga nennen wir das Purusha, sind wir dem Wirken der Materie unterworfen. Und die ist in ständigem Wandel. Heute so und morgen so.
Die Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies sagt uns das gleiche. Alles war ursprünglich in der Einheit. Mit dem Verzehr des symbolischen Apfels erkannte der Mensch sich selbst. Er sah das Andere und war hinfort getrennt vom Ganzen. Das war die Vertreibung. Er sah den Löwen und hatte Angst. Vorher waren sie friedlich zusammen, weil sie die jeweilige Andersartigkeit nicht wahrnahmen. Aus der Traum! Hinfort hieß es: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden.“ 1. Mose 3.19
Paulus sagt in diesem Kontext, dass in der Schwäche die Stärke liegt. Er meint, dass wir als Menschen nur durch die Gnade Gottes aus dem Dunkel ins Licht kommen können, und in der Schwäche ist man der Gnade, also Gott am nächsten.
„Da sprach er zu ihnen allen: „Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach.“ Lukas 9:23
Oder anders ausgedrückt: Der Frosch, der in den Milchpott gefallen ist und zu ertrinken droht, rudert unverdrossen, bis die Milch zu Butter geworden ist und er heraus hüpfen kann…bis zum nächsten Mal.