In einem der letzten Blogbeiträge habe ich über Zufälle geschrieben. Die Quintessenz war, dass es keine Zufälle gibt.
Heute geht es um Ärger. Wir können ihm nicht entkommen. Da ist zunächst der, der von außen auf uns zukommt. Er ist mannigfaltig. Wenn von außen nichts anliegt, dann kommt aus dem unerschöpflichen Vorrat unseres Erinnerns etwas an die Oberfläche. Zeitlich gibt es da keine Beschränkungen. Ich ärgere mich auch noch über Sachen, die Jahrzehnte zurückliegen. Irgendwie ist immer die Hoffnung da, dass es eines Tages aufhören möge. Wenn wir normal damit umgehen, dann tut es das sicher nicht.
Gehen wir einmal etwas in die Tiefe. Es gibt im Yoga den Begriff Klesas. Übersetzt bedeutet das: Ursache von Leid, Schmerz, Anhaftung. Das Klesa, das allen anderen zugrunde liegt, heißt Avidya. Das bedeutet: falsches Erfassen der wahren Natur der Dinge oder auch „ein vergängliches Objekt als dauerhaft ansehen“.
In uns ist eine Sehnsucht nach Dauer, nach Stabilität, nach Sicherheit. Wir möchten gerne, dass Schönes bleibt und Unschönes fern bleibt. Natürlich wissen wir insgeheim, dass das nicht möglich ist, aber wir gehen unverdrossen immer wieder in die Falle. Wir verlassen zum Beispiel morgens gut gelaunt das Haus und sagen zu unserem Partner, dass wir uns abends freuen, wieder zuhause zu sein, um einen schönen Abend zu verbringen. Im Laufe des Tages erleben aber beide Menschen unterschiedliche Situationen, die jeweils unterschiedlich wirken und die abends dann zu ganz anderen Befindlichkeiten führen als am Morgen. Enttäuschung macht sich breit und beide müssen aufpassen, dass es nicht noch schlimmer wird. Unser inneres Wahrnehmen und die Welt um uns herum ist in ständiger Bewegung. Genau genommen sind wir abends nicht mehr die selben Persönlichkeiten wie morgens. Millionen von Zellen sind gestorben. Unzählige Eindrücke, Gedanken, Gefühle sind dazu gekommen. All diese Erfahrungen hinterlassen Spuren. Wir nennen das Samskaras, Eingravierungen. Diese Samskaras sind immer bereit, an die Oberfläche zu steigen, sobald sie durch eine entsprechende Situation geweckt werden. Ihre Frau hat vergessen, den Käse nachzukaufen, den Sie gerne essen. Eine Kleinigkeit – eigentlich. Da Sie aber an dem Tag nicht ganz so gut drauf sind, fallen Ihnen eine ganze Anzahl ähnlicher Vorkommnisse ein und es kommt schwerer Ärger auf: „Die vergisst aber auch immer alles.“
Dem zu entkommen ist schier unmöglich. Es sei denn, man geht anders mit dem Ärger um und da sind wir wieder bei den nicht stattfindenden Zufällen, denn auch der tägliche Ärger ist keine Zufall. Er hat ganz eng mit unserer Person zu tun. Ärgerliche Vorkommnisse sind die Stolpersteine, die uns in den Weg gelegt werden, um weiterzukommen. Alles Seiende strebt nach Vollendung. Jede Pflanze erlebt ihre Wachstumsstadien, jedes Tier strebt der Fülle seines Daseins entgegen und mit uns Menschen ist es nicht anders. Bloß sträuben wir uns. Wir halten fest. Wir weigern uns, zu erkennen, wie die Dinge wirklich sind. Da aber das Universum nicht schlecht ist, sondern positiv, erhalten wir Hilfe – in Form von Ärger.
Anstatt jetzt in die üblichen Verhaltensweisen wie Verdrängen, Ausleben usw. zu verfallen, sollten wir uns fragen: „Was will mir das sagen? “
Es ist sehr wahrscheinlich, dass dann die ganze, zunächst als negativ erlebte Situation in einem anderen Licht erscheint. Wir werden zum Beispiel entdecken, dass uns immer wieder die selben Dinge ärgern. Anderen macht das überhaupt nichts aus. Also scheint es nicht an den Situationen zu liegen, sondern an uns. Was ist da bei mir, was ich verändern sollte? Wir werden feststellen, dass durch dieses Vorgehen Ereignisse, die uns immer aufregten, plötzlich nicht mehr vorkommen. Genau genommen passieren sie natürlich nach wie vor, aber wir sind weiter gekommen und wir nehmen sie anders wahr.
Für mich liegt der Sinn des Lebens darin, die Realität, so wie sie wirklich ist, zu erkennen. Das heißt, den immerwährenden Wandel anzunehmen und mitzufließen. Dies bedeutet, das ständige Werten sein zu lassen, sondern einfach wahrzunehmen.
So wie es in diesem Zen – Gedicht von Wang Wei zum Ausdruck kommt:
„Mandelbäume werden zu Balken geschnitten,
Das Dach ist geflochten aus duftendem Ried.
Vielleicht bilden sich Wolken in diesen Dachsparren
Und gehen Regen machen in der Menschenwelt.“