Über das Wesen der Meditation

Im Yogainstitut in Bombay, an dem ich meine Ausbildung machte, sprach man nicht von Meditation, wenn wir uns eine halbe Stunde in die klassische Pose begaben.
Man bezeichnete das als „conditioning“, also als sich konditionieren.

Ich wundere mich immer, wenn ich höre, dass Leute zu zehntägigen Zen – Seminaren gehen und sich dort stundenlang mit schmerzenden Knochen auf den Boden setzen und sich davon viel erwarten. Fakt ist, sie kommen danach wieder heim und – „here we are again“.

Ich glaube, dass hier ein grundsätzliches Missverständnis über das Wesen der Meditation besteht.
Sehen wir uns das einmal an.
Die fünfte Stufe des achtfachen Pfades des klassischen Yoga ist Pratyahara. Das bedeutet das Abziehen der Sinne von der Außenwelt.
Stellen Sie sich einen tickenden Wecker in Ihrem Schlafzimmer vor. Wenn Sie sich darin aufhalten, hören Sie sein Ticken nur, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit darauf richten, denn wir hören nicht mit den Ohren, sondern mit dem dafür verantwortlichen Hirnzentrum. Die Ohren sind ja sozusagen immer eingeschaltet. Auf der Stufe des Pratyahara ist es dem Yogi möglich, die Sinne bewusst zu kontrollieren. Wenn er es will, dann hört und sieht er nicht, weil er die Aufmerksamkeit nach innen richtet.
Dies ist die Vorstufe zu den drei letzten Stufen des achtfachen Pfades, nämlich Dharana – Dhyana – Samadhi. Das sind Techniken, die zusammengefasst als Samjama bezeichnet werden, weil sie eigentlich ineinander über gehen.
In Patanjalis Yoga Sutren wird darin folgendes Bild gebraucht, um den Vorgang deutlich zu machen: Anfänglich gleichen die Gedanken immer gleichmäßig nach unten fallenden Wassertropfen. Das Objekt der Konzentration, zum Beispiel die Unendlichkeit der Leere, wird nicht verlassen. Kein anderer Gedanke, kein Signal von außen stört. Letztlich gleicht der Gedankenstrom dem Ausgießen von dickflüssigem Honig.
Wenn die Oberfläche eines Teiches vollkommen glatt ist, sieht man bis auf den Grund.
Dann erkennt der Geist sich selbst. Die Buddhisten sagen, dass sich der Mensch seiner Buddha – Natur, die schon immer in ihm vorhanden war, bewusst wird.
Wir können uns unschwer vorstellen, dass sich das Denken eines solchen Menschen vollkommen vom Denken des Normalmenschen unterscheidet. In dieser Stufe kommt es zu einem sogenannten Parinama. Das bedeutet, die Hirnstruktur verändert sich. Ich habe kürzlich das Buch: „Ein neues Ich“ von Joe Dispenza, einem Neurowissenschaftler gelesen. Darin wird die Verflechtung zwischen Gedanken und Umwelt erläutert. Auf der Quantenebene besteht ein Zusammenhang zwischen dem Wahrnehmenden und dem Objekt. So ist es möglich, durch konzentriertes Denken Einfluss auf das materielle Feld zu nehmen. Fritjof Capra hat das in seinem Buch: „Das Tao der Physik“ schon vor vierzig Jahren beschrieben.
Was bei dem bisher Gesagten auffällt, ist die Stabilität und Gleichmäßigkeit des Denkens. Auch wenn der Yogi nicht in der Meditationshaltung ist, so findet trotzdem der für den gewöhnlichen Menschen normale Gedankenwirrwarr nicht statt.
Natürlich schadet es nichts, sich täglich eine halbe Stunde oder länger in eine Meditationshaltung zu begeben. Das hat sehr positive Auswirkungen auf Blutdruck, Herzfrequenz und Nervensystem. Ich bin in meinem „Yogalehrbuch“ ausführlich darauf eingegangen.
Das alles aber ist nicht Meditation wie oben ausgeführt.
Was also dann?
Es kommt darauf an, sich nicht ständig von den Einflüssen, denen wir täglich ausgesetzt sind, mitreißen zu lassen. Dazu bedarf es eines bewussten „sich Konditionierens“.
Stellen Sie sich aufrecht hin. Schließen Sie die Augen oder auch nicht und nehmen Sie sich wahr. Spüren Sie Ihren Atem, hören Sie das Zirpen einer Grille, wenn Sie draußen sind. Spüren Sie den Wind, die Luft, die Sie umfängt. Nehmen Sie den Sie umgebenden Raum wahr. Dehnen Sie diese Vorstellung bis ins Unendliche aus und fühlen Sie, dass Sie ein Teil eines harmonischen Ganzen sind.
In diesem kurzen Moment kann es möglich werden, dass Sie Glück fühlen. Die Zenleute sagen, dass Erleuchtung kein Prozess ist, sondern von einem Moment auf den anderen passiert.
Im Unterschied zu diesen und den Yogis ist es uns Normalen aber nicht möglich, in diesem Zustand zu verharren. Dazu ist unser Denken zu undiszipliniert. Das macht aber nichts. Wir können uns ja immer wieder zurück beamen.
Eine andere Methode dafür ist, sich einfach kurz hinzustellen, die Arme weit zu öffnen und tief einzuatmen und wieder auszuatmen, um die Weite zu erfahren und aus der Enge der uns belastenden Gedanken auszubrechen.
Abschließend möchte ich aber doch noch erwähnen, dass es sicher nicht schaden wird, zehn Tage Zazen zu üben. Aber, wie schon gesagt, sie kommen auch wieder nach Hause.

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