Die Bezämung der Macht

 

Vor langer, sehr, sehr langer Zeit, als der Mensch noch im Magischen verhaftet war und sich ängstlich den allmächtigen Naturgewalten ausgeliefert sah, sann er, wie es uns Menschen so eigen ist, auf Abhilfe. Er wollte aus dieser Schwäche entfliehen, wollte aus der Knechtschaft zum Herrn aufsteigen.
In den Blitzen und dem Donner, dem tosenden Regen sah er eine unbekannte Macht, die gnädig zu stimmen war. Der Blitz brachte ihm einst das Feuer. Also, so dachte er, ist das Feuer ein Abgesandter dieser allmächtigen Macht, die ihn in Schrecken versetzte. So zündete er, als das nächste Gewitter über ihn hereinbrach und er mit seiner Sippe frierend im Wald saß, ein mächtiges Feuer an. Alle hoben die Hände zum Himmel und heulten in ihrer ungefügen Sprache. Und siehe da, das Unwetter endete.
Das wäre wohl ohnehin geschehen, aber vielleicht, vielleicht hatte das Opferfeuer dazu beigetragen. Man weiß ja nie so genau und schaden kann es ja nicht, wenn man das bei Gewitter in Zukunft immer so macht. Einer aus der Sippe tat sich bei der ganzen Zeremonie besonders hervor. Er entwickelte eine Art Choreographie. Die anderen mussten sich nach seinen Anweisungen hinlegen und wieder aufstehen oder auch knien. So, so erklärte er es ihnen, könne die Wirkung des Ganzen noch verstärkt werden und die Gottheit, um nichts anderes ging es hier, könne damit noch gnädiger gestimmt werden. Im Laufe der Zeit fand er und seines Gleichen noch andere Zeremonien, etwa um bei der Jagd gute Beute zu machen. Dabei lag es nahe, einen erlegten Hirsch zu opfern, denn wenn man etwas hergab, was einem selbst teuer war, hoffte man, dass der Gott sich dankbar erweisen möge und noch mehr Hirsche zur Verfügung stellte.
So oder auch anders könnte das entstanden sein, was wir heute als Religion bezeichnen. Und so könnte auch die Priesterkaste, gleich welcher Religion, entstanden sein. Diese gewann immer mehr Macht, denn sie hatte ja den direkten Draht nach oben. Wenn ihre Vertreter sagten, Gott will es so, dann gab es dagegen keine Argumente mehr, denn wie sollte man das Gegenteil beweisen können? Und so entstanden die Ketzer.
Da die Welt groß ist und die Menschen sich überall hin verteilt hatten, entstanden unzählige Kulte. Die einen schufen Gottheiten mit Elefantenköpfen. Die anderen glaubten, dass man das Herz aus dem lebenden Körper herausschneiden musste, um Gnade zu erhalten. Berge spielten manchmal eine große Rolle, denn sie lagen dem Himmel, wo man das Göttliche ansiedelte, näher. Dort erhielten die Führer Gesetze und Offenbarungen.

Vor ein paar Tagen feierten wir hier im christlichen Abendland Ostern. Wir gedachten dem Tod und der Auferstehung eines Wanderpredigers aus Galiläa im heutigen Palästina. Tausende pilgerten die Via Dolorosa entlang und beteten in der Grabeskirche. Nicht weit entfernt ist der Felsendom mit einem Fußabdruck Mohammeds. Auch von Jesus sollen dort noch welche sein.
Uns Christen (das sind die, die dem galiläischen Wanderprediger Gehör schenken) sagt man, dass wir am Ende der Tage in unserem Körper wieder erstehen. Hoffentlich im ehemals zwanzigjährigen und nicht im gebrechlichen Greisenkörper. Die Moslems kriegen die berühmten 72 Jungfrauen. Was kriegen die Musliminnen? Die Hindus haben die berühmte Arschkarte. Die müssen solange durch das Jammertal des Daseins, bis sie ganz geläutert sind.
Man könnte jetzt seitenlang alle Glaubensgebäude intellektuell zerpflücken. Aber darum geht es ja gar nicht.
Es geht zunächst darum, zu sehen, dass es absurd ist, zu glauben, dass einer Recht hat und die anderen falsch liegen. Wer das ernstlich glaubt, ist ein Idiot.
Weiter müssen wir sehen, dass wir Menschen offensichtlich nicht in der Lage sind, ohne die Sphäre des Höheren zu existieren. Tiere können das. Lessing führt in seiner Schrift:„Die Erziehung des Menschengeschlechts“ aus, dass Religion eine unentbehrliche Form für die geistig – moralische Entwicklung des Menschen darstellt. Hier nimmt das Neue Testament eine herausragende Stellung ein. Ich denke dabei vor allem an die Bergpredigt. Hier werden Werte postuliert, die den Weg zu friedlicheren Gesellungsformen weisen und die zu Läuterung beim Einzelnen führen. Vor allem auch im mystischen Islam der Sufis findet sich das Bemühen, in Gott aufzugehen.
Zentrale Begriffe sind Liebe, Vertrauen, Barmherzigkeit etc.
Die verschiedenen Religionen sind Wege, die je nach äußeren Verhältnissen und Persönlichkeit beschritten werden können, um aus dem „Auge um Auge, Zahn um Zahn- Denken“ des alten Zeitalters herauszufinden. Persönlichkeitsentwicklung ist immer das Transzendieren des Egos.
Nur die Religionen, so unvollkommen sie auch von uns Menschen propagiert werden, bieten ein Zuhause für alle, gleich welcher intellektueller Kapazität.
Dazu gehören Märchen, Heilige, Legenden, Bilder, Gleichnisse usw. Man darf nur nicht den Fehler machen, dies als die Essenz anzusehen.
Für mich ist die Lehre Buddhas hier am bestechendsten.
(Gottes)erkenntnis ist möglich, wenn die vier edlen Wahrheiten anerkannt werden:
Alles Bedingte ist Leid.
Leid hat als Ursache das Anhaften an das Bedingte.
Es gibt ein Ende des Leids.
Es gibt einen Weg dahin.
Erkenntnis endet im Nirwana. Das ist nicht gleichzusetzen mit dem Paradies, sondern ein Verlöschen der materiellen Existenz, also das Nichts. Für die meisten ist das keine schöne Vorstellung. Da fühlt sich ein Bild von ewigem Licht in der Gegenwart Gottes deutlich wärmer an.
Aber – das sind menschliche Kategorien. Gott ist etwas ganz Anderes.

Wie heißt es? Wenn ich Gott verstehen könnte, wäre ich er.

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