In den beiden letzten Folgen dieser Artikelserie haben wir uns mit der möglichen Entstehung von Religion und mit ihren möglichen negativen Aspekten befasst.
Aber – frei nach Wolf Biermanns Songtitel: „Das kann doch nicht alles gewesen sein…“ Ist das alles? Diese fatale Mischung aus Angst, Unterdrückung, Gewalt und Bigotterie?
In der Antike gab es ausgelassene Bacchanalien mit reichlich Wein und halluzinogenen Substanzen, die ein „außer sich Sein“ zum Ziel hatten. Es mögen orgienhafte Exzesse gewesen sein mit Hunderten von Teilnehmern.
Wenn Menschen in geselliger Runde beim Wein zusammenkommen, führt das zu Nähe und Verbrüderung in der Lust an Nähe und natürlich auch an der Distanzlosigkeit. Im Rausch steckt die Sehnsucht nach dem Überwinden der Vereinzelung. Die Doors sangen „Break on through to the other side…“ Im Tod des Sängers Jim Morrison sehen wir, dass Rausch auch zerstörerische Seiten hat.
Der Psychologe Timothy Leary trat in den 1960er und -70er Jahren für die Verwendung von Halluzinogenen zur Bewusstseinserweiterung ein.
Auch „Aldous Huxley, der schon 1953 mit Meskalin experimentiert und seine Erfahrungen in dem einflussreichen Text Die Pforten der Wahrnehmung veröffentlicht hatte ( Wikipedia)“, war offen für solche Experimente. Stanislav Grof entwickelte seine Psycholytische Psychotherapie, in der er kontrollierten Einsatz von LSD befürwortete.
Mit der von ihm entwickelten Methode des holotropen Atmens ist es möglich, nicht integrierte Persönlichkeitsanteile zu bearbeiten und sich zu „Ganzheit hin zu begeben“ (Griech: holos = ganz, trepein = sich richten auf).
Das Leben des Menschen, geworfen in ein Dasein, in dem er sich als getrennt von allem anderen empfindet, ist eine immerwährende Suche mit dem Ziel, dieser Vereinzelung zu entrinnen. Er versucht sie, wie aufgezeigt, im Rausch zu überwinden. Dies ist der Gesundheit meist abträglich. Oft müssen andere Menschen, Partner und Freundinnen die innere Leere füllen. Die weit verbreitete Konsumwut ist ein anderer untauglicher Versuch.
Diese Vereinzelung ist in der Legende von der Vertreibung aus dem Paradies dargestellt. Die Erkenntnis, die der Apfel vermittelte, war die Erkenntnis der „Zweiheit“, der Dualität. „Ich bin ein anderer als Du.“ Damit war die Trennung vollzogen. Gott hatte sie gewarnt. Was in der Kirche immer als Strafe hingestellt wird und uns als sogenannte Erbsünde penetrant unter die Nase gerieben wird, ist die vollkommen natürliche Folge des Getrenntseins. Abschiede tun weh.
In der indischen Mythologie finden wir folgendes Bild: Am Anfang, so sagen die Yogis, war nichts . Shiva, der große Yogi, Gott des Werdens und Vergehens, saß in tiefer Meditation auf dem Berg Kailash im heutigen Tibet. Irgendwann trat eine Störung auf, das erste Karma, die erste Ursache. Das heißt, Shiva, in der Einheit das reine geistige Prinzip, welches kein Bedürfnis nach Schöpfung hat, da es ja vollkommen ist, wurde selbst zur Dualität. Ein Teil blieb Geist, der andere wurde zum Schöpfungsprinzip (Shakti), das bezeichnenderweise weiblich ist. Wie ging die Geschichte weiter? Eine erste Wirkung war entstanden. Diese zeitigte eine weitere Ursache und so fort. Immer weiter verstrickte sich Shakti in ihrer Schöpfung und das Universum entstand. Schließlich hatte sie ihren Ursprung vergessen. Das Wissen darum, tief in ihr verborgen, blieb jedoch erhalten. Wir können somit sagen, dass die materielle Welt Prakrti irgendwann zur Einheit zurückkehrt. Es ist gleichsam der Wunsch der Materie nach Erlösung. Das ist unsere Situation. Deswegen spüren wir immer wieder die Sehnsucht nach dem Geistigen und machen uns auf die Suche danach.
Religionen sind Wege, die von außergewöhnlichen Persönlichkeiten gegangen wurden, um aus der Dualität in die Einheit zurückzukehren. Buddha hatte zunächst nicht vor, eine Religion zu begründen. Er wurde durch das Leiden, das er mitansehen musste, zu Askese und Meditation „getrieben“. Sein Ziel war, die Ursache des Leidens zu erkennen. Auch Jesus hatte nicht das Ziel, das Christentum zu begründen. Er war Jude und versuchte, die Botschaft der Liebe in genau diese Lehre einzubringen.
Religio bedeutet Rückverbundenheit. In diesem Sinn können wir die Wege, die die Meister vorgegeben haben, nachgehen. Wenn Jesus sagt: „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“, meint das, dass wir uns im Geist des Neuen Testaments auf den Weg begeben sollen, um das „Unnennbare“, den „Vater“, die Yogis nennen es Atman, zu erkennen.
(wird fortgesetzt)