Einfach mal das Denken kontrollieren Teil II

Bild 2025 10 26 192039813In einem meiner Yogakurse hatte ich einmal eine etwa 78 Jahre alte Frau, vielseitig interessiert, die sogar noch damit angefangen hatte, Russisch zu lernen. Als ich der Gruppe das Konzept Prakriti- Purusha zu erklären begann,(dass wir mit unseren eingeschränkten Sinneswahrnehmungen nur die sich ständig ändernden Phänomene wahrnehmen, nicht aber die absolute Realität), meinte sie, dass es doch gerade das Reizvolle am Leben sei, dass sich alles im Fluss befinde. Alle andere sei doch langweilig.

Man kann das so sehen, aber es gab schon immer Menschen, die damit nicht zufrieden waren. Das waren die Mystiker und die Yogis. Die wollten Gott im Sinne von Spinoza erkennen. Für Spinoza ist Gott die einzige Substanz (etwas, das nur durch sich selbst existiert und nicht von anderen abhängig ist).

Das ist schwer zu verstehen. Ich versuche es einmal mit einem Beispiel aus der Zen-Tradition. Wenn Gott oder das reine Bewusstsein oder eben Purusha nicht durch etwas „anderes erkannt“ werden kann, dann haben wir Menschen ein Problem. Wir können nur „erkennen“, indem wir „eines mit einem anderen erklären“. Das nennt man Dualität. Um z.B. Dunkelheit zu erklären, müssen wir sie der Helligkeit entgegenstellen. So funktioniert das aber mit dem reinen Bewusstsein nicht, denn es ist etwas vollkommen anderes. Unser Verstand ist ratlos und mithin sinnlos.

Deswegen wurden von den Zenmeistern die sogenannten Koans entwickelt. Eines der bekanntesten ist: „Wie klingt das Klatschen einer Hand?“ Der Verstand wird ausgetrickst, er ist ratlos, weil er sagt: „Das geht doch nicht!“

Nur auf meditativem Weg ist das zu lösen.

Das Raja-Yoga, wie es Patanjali in seinen Sutren darlegt, ist wesentlich elaborierter. Ich sagte in Teil I, dass Yoga auf der Samkhya- Philosophie fußt. Das Samkhya ist die Theorie, Yoga ist die Umsetzung.

Im Folgenden verwende ich KI-Definitionen, weil sie kurz und prägnant sind.

Das Wort Sāṃkhya bedeutet „Aufzählung“ oder „Analyse“ – es bezieht sich auf die systematische Aufzählung der Prinzipien (Tattvas), die das Universum bilden.

Der legendäre Begründer ist Weise Kapila (Kapila Muni).
Der wichtigste erhaltene Text ist die Sāṃkhya-Kārikā von Īśvarakṛṣṇa (ca. 4.-5. Jh. n. Chr.).
Das Sāṃkhya (wörtlich Zahl, Aufzählung) ist eines der sechs klassischen indischen Philosophiesysteme (ṣaḍ-darśanas).
Es gilt als eines der ältesten und grundlegendsten Denksysteme des Hinduismus und bildet die theoretische Grundlage des Yoga.

Sehen wir uns nun die einzelnen Tattvas an:

Die zwei grundlegenden kennen wir schon.

Purusha
Das reine Bewusstsein, das Selbst, der „Beobachter“. Passiv, unveränderlich.
Prakrti
Die Urnatur oder Materie. Aktiv, dynamisch, unbewusst – die Quelle des gesamten Universums.

Man kann sich Purusha als einen farblosen, völlig klaren geschliffenen Diamanten vorstellen. Vollkommen heißt: Es gibt nichts mehr daran herumzuschleifen.

Die Crux ist, dass er alles, was man ihm vorhält, ohne Wertung reflektiert. Wenn ich mir also gedanklich vorstelle, ich möchte sein wie Brad Pitt, dann nimmt er diese Gestalt an. Sehe ich anderntags alles schwarz, dann bin ich auch das.

Er erkennt sich nicht selbst.

Nun gibt es ein Zusammenspiel mit der Materie (Prakrti). Sie hat die Aufgabe, Erfahrungen zu liefern, die das Individuum in die Lage versetzen, „sich selbst“ zu erkennen.

Erinnern Sie sich, wir sagten, der wahre Mensch ist Purusha.

Die Materie wird uns also Erfahrungen bieten, die uns der Erkenntnis näher bringen. Wenn wir zum Beispiel durch Sturheit und Ignoranz wegen eines bestimmten Persönlichkeitsmerkmals oft und noch öfter „auf die Schnauze“ gefallen sind, kann es sein, dass es „langsam dämmert“ und wir erkennen, dass diese „schlechten“ Erfahrungen doch nicht nur negativ zu sehen sind, sondern im Nachhinein dazu dienten, uns zu verändern. Irgendwann kommen wir dann vielleicht zu der Erkenntnis, dass alles, was wir erleben, dazu dient, uns „weiter“ zu bringen.

Yoga sieht Purusha als den Lahmen, der zwar vollkommen ist, aber aus dieser Vollkommenheit heraus nicht handelt. Prakrti ist der Blinde, der ohne das Bewusstsein ziellos vor sich hin eiern würde.

Der „dumme“ Lahme bietet dem „funkelnden“ Blinden so lange Erfahrungen an, bis dieser sich nicht mit allem identifiziert, sich also „selbst erkennt“.

Das ist Kaivalya oder Mukti, die Befreiung.

 

(wird fortgesetzt)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Total Page Visits: 106 - Today Page Visits: 1