Wenn man sich durch die Welt der schlauen Zitate bewegt, dann scheint der Weg zu Satchidananda, dem reinen Sein in ewiger Glückseligkeit, gar nicht so schwer zu sein.
Zum Beispiel habe ich heute gelesen, solange unser Denken nicht unter Kontrolle ist und sich mit Äußerlichkeiten identifiziert, solange sind wir Spielball der Welt. Das impliziert, als bräuchten wir nur loszulassen und unsere Gedanken zu kontrollieren, um frei von den Widrigkeiten des Daseins zu sein.
Leider ist das der Endpunkt aller Yogapraxis, nennt sich Samadhi, und Patanjali beschäftigt sich in seinen Sutren damit, den Weg dorthin zu beschreiben. Und der ist hart und erfordert äußerste Konsequenz. Yogis verbringen damit ihr ganzes Leben.
Ich möchte heute einmal die Philosophie, die dem Ganzen zugrunde liegt, beschreiben. Vielleicht ist es für den einen oder anderen ganz interessant, etwas tiefer einzusteigen.
Die philosophische Grundlage des Raja-Yoga ist das Samkhya – eine der philosophischen Schulen Indiens. Samkhya heißt Zahl. Es ist ein nontheistisches System und unterscheidet zwei ewige Prinzipien:
Purusha – das reine Bewusstsein, das passive, unbewegte Selbst (Zuschauer)
Prakriti – die Urmaterie, die aktive, unbewusste Natur (alles Wandelbare)
Philosophie ist der Versuch, das Sein und all das, was ist, zu erklären. Dabei gehen die einzelnen Schulen von bestimmten Grundannahmen aus, sogenannten Axiomen. So auch hier.
Jedes Lebewesen hat einen Purusha, auch Tiere. Der Unterschied zum Menschen ist, dass sie nicht den Intellekt (Buddhi) haben, um ihn zu erkennen. Wir kommen später noch darauf.
Purusha ist von Urzeiten an vollkommen, er muss sich nicht entwickeln, denn was vollkommen ist, muss sich nicht entwickeln.
Hier stellt sich folgende Frage: Wenn er doch so perfekt ist und jeder einen hat, warum identifizieren wir uns dann trotzdem mit den ganzen Phänomenen, die uns die Materie (Prakriti) anbietet? Zum Beispiel sind wir bei schlechtem Wetter oft deprimiert und wenn die Sonne scheint, geht’s uns gut. Wenn das reine Bewusstsein so „schlau“ ist, müsste man doch über solchen Schwankungen stehen?
Die Antwort lautet: Da das reine Bewusstsein vollkommen ist, besteht keine Notwendigkeit zum Handeln. Der Purusha ruht in sich selbst und ist vollkommen unberührt von allem.
Man könnte Purusha auch als den wahren Menschen bezeichnen. Das ist damit gemeint, wenn in der Bibel steht „Gott schuf den Menschen sich zum Bilde“.
Es geht also darum, den Purusha, unser wahres Wesen zu erkennen und sich nicht mit den Schwankungen der Materie zu identifizieren.
Auch das Denken (Chitta) ist Materie, also auch Gedanken und Gefühle. Materie ist alles, was dem Wandel unterworfen ist.
Hier kommen fünf Grunddefekte unseres Denkens ins Spiel, die Klesas.
Das erste und wichtigste ist Avidya – Nichtwissen, Unkenntnis, mangelndes Erkennen der Wirklichkeit, das Nichterkennen dessen, was ist, falsche Erkenntnis, die falsche Anschauung, die das Vergängliche für unvergänglich, das Unreine für rein, das Leidvolle für Freude und das Nicht-Selbst für Selbst hält.
Unsere Sinne gaukeln uns eine Wirklichkeit vor, die so nicht existiert (Maya).
Wir nennen das Spiel der Gunas Realität und sind nicht in der Lage, zu erkennen, dass sich diese immer ändert und wir fortwährend in anderen Realitäten leben.
Wir gehen zum Beispiel felsenfest davon aus, dass wir am Abend in derselben fröhlichen Stimmung sein werden wie am Morgen, dabei ist das reines Wunschdenken, wie wir ja alle wissen.
(wird fortgesetzt)

