Phasen

Img 20201122 102910Sie, die Sie diese Zeilen lesen, sind in der einen oder anderen Art auf der Suche, sonst würden Sie nicht hier  sein.

Ich habe im Lauf meines langen Lebens schon etliche Zielvorstellungen gehabt, soweit es meine spirituelle Sadhana anbelangt.

Als junger Erwachsener, nach einer mehr oder wenigen schwierigen Kindheit und den folgenden Irrungen und Wirrungen der Pubertät, versprachen die ersten Bücher über Meditation die „große Ruhe“.

Ich stellte mir vor, dass die Zukunft so aussehen würde wie ein Schweben über den Wolken: Das Gebraus der Welt mit ihrem täglichen Kleinkram spielt sich weit unten ab.

Ein mildes Lächeln auf den Lippen, wo würde ich meine Tage hinfort verbringen!

Das war Phase Eins, die angestrebte Flucht aus dem Strom des Lebens. Was anderes ist das nicht. Situationen, die als Störungen definiert werden, mussten rigoros ausgeschaltet werden. Nichts durfte die Ruhe der Meditation unterbrechen.

Da kam manchmal viel Ärger des Weges, wenn die Umwelt, zum Beispiel die Mitbewohner, anderes Verhalten an den Tag legten, etwa Musik zu hören. Also, das geht ja gar nicht!

Dann kam die Zeit der hohen Philosophie, in der Patanjalis Yoga-Sutren meine Bibel wurden.

„Chitta Vritti Nirodha“ ist das Sanskrit-Zitat aus dem zweiten Vers der Yoga-Sutras von Patanjali und bedeutet übersetzt: „Yoga ist das zur Ruhebringen der Gedankenwellen des Geistes“. Es ist die grundlegende Definition von Yoga, die den Zustand des Geistes beschreibt, der durch Achtsamkeits- und Meditationstechniken erreicht wird, um mentalen Frieden und eine tiefe, stille Wahrnehmung der Wirklichkeit zu erlangen.

Die Grundannahme in dieser Phase war folgende: Wenn ich nur ganz konsequent jeden Morgen mein Hatha Yoga und die Meditation praktiziere, mich sattvisch ernähre und einen Rhythmus in den Tagesablauf hineinbringe, dann werden die Gedankenwellen sicherlich zur Ruhe kommen und dem Vorstoß zum Purusha steht nichts mehr im Wege.

 

„Leider“ spielten die Anforderungen des täglichen Lebens in Form von Beruf, Kindern, Garten-und Hausarbeit und die eigenen Leidenschaften nicht so recht mit. Gewiss, nach zwei Stunden Übungen kehrte oft eine gewisse Ruhe ein, manchmal aber auch nicht. Hinzu kamen immer wieder Situationen, die schon eine gewisse Starrheit im Denken zeigten.

Ich erinnere mich gerade an Reiseeindrücke in Südindien: „Morgens um 6.00 Uhr geht der Bus. Ja, und was ist dann mit meinen Übungen? Ich kann doch nicht schon um 4.00 Uhr aufstehen.“

Bei den bisher beschriebenen Phasen handelt es sich um Jahrzehnte, nicht um Monate, um das mal auszusprechen.

Was also dann?

Wir hatten im Yogainstitut ein geflügeltes Wort: „Die Gunas sind in ständiger Bewegung.“ Alles klar, ist man geneigt zu sagen, was denn sonst?

Diese einfache Erkenntnis aber muss aus dem intellektuellen Wissen bis in die innersten Zellen sickern. Es geht um nicht weniger als die Akzeptanz aller Situationen, die kommen.

Dazu gehört ein solider philosophischer Hintergrund, eine Basis. Im Yoga nennen wir das Jnana. Man muss in der Erkenntnis verankert sein, dass jedes Geschehen im Universum, also auch im eigenen Leben, sinnhaft ist, und nicht einfach eine Abfolge von Situationen.

Ich habe in einem der letzten Artikel Baruch de Spinoza erwähnt. Er sagt, Gott ist keine Person, sondern die gesamte Realität. Also ist auch mein Leben ein Teil der göttlichen Realität.

Wenn mich etwa jemand nervt, weil er mit 90 km/h auf der linken Spur dahinschleicht, dann ist das erstens eine Botschaft, die mir was sagen will, und zweitens auch ein Teil der göttlichen Realität.

Es geht also darum, das Leben quasi als eine Art Gesamtkunstwerk anzusehen, bestehend aus philosophischer Erkenntnis, intelligenter Lebensführung und Demut in der Annahme der Geschehnisse.

Ich habe erkannt, dass es hilfreich ist, jeden Tag als eine Einheit zu sehen, die in Dankbarkeit und möglichster Bewusstheit gestaltet werden sollte. Längere „Planungen“ überfordern das menschliche Bewusstsein, aber kleine Abschnitte,  so wie ein Tag, sind zu schaffen.

 

 

 

 

 

 

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