Als ich gestern über den Flohmarkt schlenderte, den sie im Städtchen veranstalteten, sprach mich ein Mann an. Ich sagte, im Moment wüsste ich nicht, wo ich ihn hintun solle. Er antwortete, dass er so um 1984 in einem meiner Yogakurse gewesen sei und dann mit seiner Freundin nach Bombay ans Yogainstitut gefahren sei. Vor ein paar Jahren aber habe er Jesus gefunden.
Ich meinte, dass alle Wege eins seien, was er aber entschieden verneinte.
Bevor er ansetzen konnte, mich zu missionieren, verabschiedeten wir uns freundlich. Er machte jedenfalls einen guten Eindruck auf mich.
Nach dieser Begegnung kamen mir einige Gedanken, die ich hier teilen möchte. Ich habe mich in meinem Buch „Jenseits von Benares“ mit meinem eigenen Weg auseinandergesetzt. Er führte mich aus einer verkorksten christlichen Welt über Indien und seine spirituelle Welt zurück zu den christlichen Wurzeln.
Religion hat viel mit Emotion zu tun. Ich hatte gesehen, mit welcher Inbrunst die Inder ihre Gottheiten anbeteten, während ich das ganze doch nur auf der intellektuellen Ebene nachvollziehen konnte.
Wir kennen inzwischen Erlebnisse aus der sogenannten Nahtod- Erfahrung. Darin berichten die „Zurückgeholten“ von diesen Tunnelerlebnissen, an deren Ende ein helles Licht zu sehen gewesen sei, aus dem Jesus hervorgetreten sei. Verbunden wäre das alles mit einem tiefen Glücksgefühl gewesen.
Andere, mit anderem religiösen Hintergrund, berichten von ähnlichen Erlebnissen, allerdings erschien ihnen Krishna oder eine andere Repräsentation des Göttlichen.
Das legt den Schluss nahe, dass die tiefsten Gefühle, die ein Mensch in Bezug auf Religiöses hat, bei diesen Visionen oder auch Halluzinationen mitspielen.
Ich selbst trage nach dem Weg über Indien auch wieder Jesus als Ansprechpartner in mir. Dieser Jesus hat allerdings nichts mit dem kirchlichen zu tun. Meiner kommt nicht „von dannen, zu richten die Lebendigen und die Toten“. Meiner spricht freundlich zu mir und er trägt auch keine Leichenbittermiene, mit der er mich auffordert, „dieses Jammertal“ zu durchleiden. Er ist reine Güte, wenn ich ihn frage: „Was meinst du dazu?“
Er ist auch wandelbar. Er ist der tanzende Shiva Nataraja, der den kosmischen Tanz (tandava) aufführt, welcher den Prozess von Schöpfung, Zerstörung und Wiedererschaffung des Universums symbolisiert.
Er ist Krishna, der auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra dem staunenden Arjuna das Universum zeigt.
Er ist Buddha, der lächelnd unter dem Bodhi- Baum sitzt.
Ich fand es schon immer faszinierend, wie man glauben kann, dass man selbst den einzig richtigen Weg eingeschlagen hat und ein paar Milliarden Menschen weiter östlich auf dem Holzweg sind.
Der indische Heilige Ramakrishna (1836-1886) erlangte Realisation in allen Religionen. In der Bhagavad Gita steht: „Wähle die Gottheit aus dem Götterpantheon, die dir am nächsten steht. Folge ihr, verehre sie, bringe ihr dein Dasein und dein Tun als Gabe dar, und du wirst Erleuchtung finden.“
Kein Mensch kann sich vorstellen, was Gott ist. Was wäre das für ein Gott, der vom menschlichen Verstand begriffen werden könnte?
Genauso wird er uns aber dargestellt. Auch diese seltsame Botschaft, die die Einen für ewig in den Himmel, die Anderen aber für ewig in die Hölle schickt, ist so richtig menschlich. Aber göttlich?
Wir schicken uns selbst dahin, wenn wir die Prinzipien des Lebens nicht begreifen. Gott ist das völlig egal. Er ist nicht begreifbar. Wir können ihm nur über seine „Repräsentanten“ näher kommen. Das sagt das Jesuswort: „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“
Dieses „mich“ ist nicht personal zu nehmen. Es sagt, dass wir Gott an seiner Schöpfung und an denen erkennen, die durch ihr hohes Menschsein zu seinen Wegweisern geworden sind. Denn wer diese „Heiligkeit“ in sich verwirklichen konnte, wie sie bei Jesus zum Ausdruck kommt, der kann sich wahrlich Gottes Sohn nennen.
Es gibt etliche, die hier genannt werden können: Buddha, Krishna, Bodhidharma, Ramakrishna, Han Shan.
Wer wollte jetzt sagen, dass einer recht hat und die Anderen nicht?