Neulich war ich einmal wieder bei meiner Friseuse. Wir kennen uns seit langen Jahren und führen während des Haareschneidens immer sehr interessante Gespräche.
Dieses mal erzählte sie mir von einer Sendung über Yoga, die sie im Fernsehen gesehen hatte. Der Protagonist des Films war ein Yogi, der „unheimlich“ gelenkig gewesen war. Er konnte „die Beine hinter den Ohren kreuzen“. Außerdem sei er am ganzen Körper tätowiert gewesen. Ganz bestimmt sei er erleuchtet gewesen, obwohl er auf eine diesbezügliche Frage nicht geantwortet habe. Die Tätowierungen machten mich sofort misstrauisch. Gewöhnlich tun so was Yogis nicht. Ich erzählte ihr von meinem letzten Aufenthalt in Kalkutta, wo uns bei einem Bummel durch die Stadt ein Plakat ins Auge gestochen war, auf dem Yoga in Verbindung mit Bodybuilding zu sehen war. Auch im Mutterland des Yoga gibt es mittlerweile Meisterschaften, bei denen derjenige „Yogi“ prämiert wird, der sich am besten mit der linken großen Zehe am rechten Ohr kratzen kann. Mit Yoga hat das herzlich wenig zu tun.
Von Ramakrischna wird erzählt, dass er eines Tages mit seinen Jüngern am Ufer des Ganges saß. Sie beobachteten, wie in diesem Moment ein Yogi über das Wasser schritt. Natürlich waren die Schüler fasziniert und fragten ihren Meister, ob er so was auch könne. Die Antwort war: „Dieser Mann hat sein ganzes Leben dafür verwendet, diese eine Fähigkeit zu erlangen. Was hat er davon? Ich zahle zwei Rupien und nehme ein Boot.“
Die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Yogis bezeichnet man als Siddhis. Wenn der Yogi seinen Geist in absoluter Kontrolle hat, entsteht das sogenannte Samadhi-parinama. Das heißt, der Geist ruht in seiner Wesensidentität. Aus dieser inneren Einung entsteht eine Kraft, die für den Normalmenschen unerklärlich ist. Allerdings warnt Patanjali in seinen Yogasutras, dass gerade diese Fähigkeiten das Potential haben, den Yogi hochmütig zu machen und an die Welt zu binden, also gerade das Gegenteil zu bewirken.
Ich habe im Lauf meines Yogalebens öfters Menschen getroffen, die sich ihren Mitmenschen gegenüber für etwas Besseres hielten. Die mit heiligem Grinsen, wie ich es nenne, auf andere herabschauen.
In der Zentradition wird eine kleine Geschichte erzählt, die deutlich macht, worum es geht:
Da kommt ein Besucher in ein Zenkloster und verlangt den Meister zu sprechen. Der Meister ist im Hof , wird ihm als Antwort zuteil. Der Besucher geht also in den Hof und sieht dort nur einen Alten, der damit beschäftigt ist, geduldig Platte für Platte zu kehren. Der Mensch kehrt zurück zur Auskunft und sagt, dass im Hof nur ein alter Mann am Kehren ist. „Das ist der Meister!“
Einen Erleuchteten erkennt man nicht, heißt es. Warum nicht? Weil ein herausragendes Attribut von Erleuchtung die Demut ist. Für diesen Zenmeister hat das Kehren des Hofes denselben Stellenwert wie, sagen wir, das Schreiben eines Buches. Er führt es mit derselben meditativen Einstellung aus wie sogenannte höherwertige Tätigkeiten. Auch sein Verhalten Menschen gegenüber wird ähnlich sein. Weiß er doch, dass keiner besser oder schlechter ist, sondern sich nur durch die Strecke des Weges unterscheidet, den er auf dem Weg zur Vollkommenheit zurückgelegt hat. Alle waren irgendwann auch mal da.
Es ist also nie das „Was“, sondern das „Wie“.
Was heißt das alles jetzt für das Tag für Tag Dasein? Mit ziemlicher Sicherheit wird keiner, der im täglichen Leben steht,Gefahr laufen, durch Siddhis hochmütig zu werden. Aber von dem „Alten“, der den Hof kehrt, können wir uns eine Menge abschauen. Wenn wir das Putzen mit derselben Konzentration betreiben wie das Hören eines Konzerts, dann werden wir in einen Fluss des Lebens und Erlebens kommen, der uns das Dasein mit anderen Augen sehen lässt.
Es ließe sich zu diesem Thema noch viel sagen, aber ich habe mir vorgenommen, unter diesem Punkt „Aktuelles“ kurze Sachen zu schreiben, die man im „Vorbeigehen“ lesen kann.