Kürzlich fuhr ich mit dem Intercity nach Frankfurt. Dabei fiel mir auf, dass kaum jemand ein Buch las, vielmehr beschäftigten sich die meisten mit ihren Laptops und Handys. Einige arbeiteten an Tabellen und Exceldateien, andere sahen sich Comics an.
Letztes Jahr, es war im Speisesaal eines Hotels, wurde ich Zeuge, wie eine Familie – Vater, Mutter und zwei Kinder – an einem Tisch schräg vor mir Platz nahmen.
Der Junge, etwa zehn Jahre alt, schaltete sein Tablet ein und es öffnete sich eine bunte, animierte Welt. Ich sah fasziniert zu und dachte gleichzeitig: „Ich glaube nicht, dass du ein großer Leser wirst und dich von Hesses Glasperlenspiel bezaubern lässt.“
Letzte Woche einigten sich die Union, FDP, SPD und Grüne darauf, dass der Bund die eigentlich länderfinanzierten Schulen mit fünf Milliarden Euros ausstattet, vorrangig, um die Digitalisierung voranzutreiben. Jedes Kind soll ein Tablet oder einen PC bekommen.
Ich frage mich warum? Will man dadurch Deutschland an die Spitze der IT- Branche befördern? Die ist schon lange in der Hand der Amerikaner, der Chinesen und Koreaner. Es gibt auf dem IT- Markt, außer SAP, keine deutsche Firma von Bedeutung. Handys bauen die Koreaner und Chinesen. Software ist Sache der Amis. Neulich war zu hören, dass die weltgrößte Computermesse, die CeBit in Hannover aufhört. Auch hier verabschiedet sich Deutschland von einem wichtigen Markt.
Jetzt also wird man versuchen, die Schulen und vielleicht auch die Kindertagesstätten aufzurüsten. Was erhofft man sich davon? Bevor marktwirtschaftlich relevante Ergebnisse sichtbar werden, werden mindestens zehn Jahre vergehen. Schlafen während dieser Zeit die anderen?
Was mich hier vor allem interessiert, sind die pädagogischen Auswirkungen. Lesen ist eine Kulturleistung. Um es zu können, muss man Zeit, Mühe und Konzentration aufbringen, sonst geht es nicht. Dies ist ein wichtiges pädagogisches Prinzip, das sich auf die Lebensführung generell übertragen lässt, nämlich das Prinzip der aufgeschobenen Befriedigung. Das bedeutet, dass ein Kind lernt, dass es befriedigender ist, sich erst etwas zu erarbeiten, da der Erfolg dann größer ist. Zum Beispiel kann man nach der Schule einen Job annehmen und sich mit dem Geld einen 3er BMW kaufen, aber der, der zuerst eine Ausbildung absolviert, wird auf lange Sicht besser gestellt sein.
„In der Wirtschaftssoziologie: verzögerte Belohnung, auch: aufgeschobene Befriedigung, deferred gratification, allgemein Bezeichnung für eine Belohnung, die nicht unmittelbar auf eine bestimmte Handlung folgt. [1] In der Soziologie ist seit L. Schneider u. S. Lysgaard (1953) von dem „Verhaltensmuster der aufgeschobenen Belohnung“ (deferred gratification pattern) die Rede; hier handelt es sich um eine Einstellung oder um einen Verhaltensstil, auf momentane Vorteile zugunsten späterer, größerer Vorteile zu verzichten, z.B. Belohnung, aufgeschoben durch Sparen, Zurückhalten von Belohnungen, Verlängerung der Lernprozesse. [2] Verzögerte Belohnung, Bezeichnung für eine spezielle Art der Konditionierung, bei der die Belohnung nicht unmittelbar auf eine bestimmte Handlung folgt. Allgemein gilt, dass die Wirksamkeit der Belohnung als Verstärker mit der Verzögerungsdauer abnimmt.“ (Quelle: Wirtschaftslexikon.co)
Beim Lesen erschafft sich jeder seine ganz eigene Welt. Keiner hat beim Lesen eines Buches die gleiche Vorstellung. Die Phantasie und die Vorstellungskraft wird entwickelt. Bei einer Software und sei sie noch so farbig, sehen alle das Gleiche, sie öffnet auch der Manipulation Tür und Tor.
Glaubt man, dass mit Computern bessere Lernerfolge erzielt werden? Ich messe dem Prinzip des Identifikationslernens größere Bedeutung zu. Möge sich doch jeder mal an den eigenen Werdegang erinnern. Am meisten wurde gelernt, wenn eine gute Beziehung zum Lehrenden bestand, auch auf der Gefühlsebene. Da blieben Inhalte hängen, die dem Lehrer gar nicht so bewusst waren. Noch nach Jahrzehnten sind Dinge frisch im Gedächtnis, weil sie in einer guten Lernatmosphäre vermittelt wurden.
Dazu gehört natürlich, dass man Zeit für das einzelne Kind hat. Dies erfordert kleine Klassen, in denen man differenzieren kann. Wir bekommen aber keine kleinen Klassen. Stattdessen hoppelt man von einem Experiment ins Nächste. Es müssen auch einigermaßen homogene Klassen sein und nicht solche mit fünf verschiedenen Nationalitäten und Sprachverhalten. Wenn das funktionieren soll, so muss man eben in eine Klasse drei Lehrer stecken, die auf unterschiedlichem Niveau arbeiten können. Stattdessen überfrachtet man die Klassensituation, dazu gehört auch die Inklusion, und erhofft sich dann von der Digitalisierung Wunder.
Natürlich ist es wichtig, dass Kinder lernen, mit PCs umzugehen. Das kann aber die persönliche Beziehung, wie im Yoga auch die Guru- Chela Beziehung, nicht ersetzen.