Vor einigen Jahrzehnten besuchte mein Guru, Dr. Jayadeva Yogendra, Deutschland. Sadhakas aus ganz Europa und Kanada kamen in das Yogazentrum in Süddeutschland, um ihm zu begegnen, so auch ich.
Eine Woche Zusammensein mit Gleichgesinnten, mit Meditationen und Vorträgen von unserem Guru. Einer der Sadhakas, nennen wir ihn Harry, kam aus Spanien. Ich kannte ihn schon vom Yogainstitute Bombay. Er war schon lange als Yogalehrer in verschiedenen Gegenden der Welt tätig, so zum Beispiel im Libanon während des Bürgerkriegs. Er war ein humorvoller Typ, ganz im Gegenteil zu manchen „Would be Yogis“, die ihre Sadhana todernst vor sich hertragen und die auf mich immer etwas blasiert und arrogant wirken. Wir verstanden uns gut.
Er ging während dieser Woche immer ins Nachbardorf, um einen Kaffee zu trinken, denn selbstverständlich gab es den im Yogazentrum nicht. Die anderen „Yogis“ sahen sich wissend an, ,,ja ja, das ist halt der Harry“.
Um es an dieser Stelle ganz deutlich zu sagen, er ist einige Jahre älter als ich und ist einer der ernsthaftesten Sucher, die ich kenne. Inzwischen lebt er schon lange wieder in Bombay und ist in engem Kontakt mit dem Institute.
Wir verstanden uns gut und ich lud ihn ein, das Wochenende nach dem Seminar bei uns zuhause zu verbringen. So geschah es dann auch und ich freute mich auf interessante Gespräche. Auf der Fahrt nach Hause bat er, an einem Supermarkt zu halten, er wolle noch was besorgen. Nach der Ankunft zog er sich in sein Zimmer zurück, aus dem er im folgenden selten herauskam. Dafür aber Zigarettenrauch und der Geruch von Wein.
Ich war in meinen Grundfesten erschüttert und tief enttäuscht. „Wie kann es das geben, ausgerechnet Harry?“
Gestern Abend machte ich noch einen kurzen Spaziergang und sah am Wegrand eine leere Zigarettenschachtel liegen. Zuhause ließ mich der Gedanke daran nicht mehr los und das Ende vom Lied war, dass ich losging und mir Zigaretten kaufte. In meiner Jugend rauchten Männer. Das war einfach so. Bei meiner Konfirmation bot mir Onkel Gustav eine an mit den Worten: „Du bist jetzt erwachsen, hier rauch‘ eine.“
In Yogakursen wirken die „Yogis“ ja immer sehr weise und alle schauen bewundernd zu ihnen auf, „ach, so möchte ich auch mal werden, aber das werde ich wohl nicht schaffen.“ In solchen Fällen ermuntert der Lehrer, weise lächelnd „nur Mut, das wird schon“.
Wir, die wir unser Leben nach den Regeln des Yoga versuchen auszurichten, sind wie alle anderen auch, Menschen mit Stärken und Schwächen, die das Menschsein ausmacht. Aber – und das macht den Unterschied, wir fallen hin, rücken die Krone zurecht und machen weiter.
Auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra antwortet Krishna auf Arjunas Frage, ob alles Bemühen umsonst gewesen sei, wenn man den Pfad des Yogas verlässt: „Nichts ist umsonst, alles ist ein Gewinn“.
Unser Denken ist mit Millionen, wenn nicht Milliarden, Eindrücken gefüllt. Jeder dieser Eindrücke hinterlässt einen Abdruck, wir nennen das Samskara. Keiner davon verschwindet, sie sinken nur in die Tiefen des Bewusstseins.
Wenn viele gleichartige Eindrücke angesammelt werden, werden daraus Vasanas.
Der feinstoffliche Zustand des Verlangens, der Wünsche, Sehnsüchte und so weiter wird Vasana genannt. Manche Philosophen bezeichnen mit Vasana ein Bestreben oder eine Neigung. Andere definieren Vasana als „das blinde Hängen an Sinnesobjekten durch intensives Verlangen oder Begehren ohne Überlegung beziehungsweise Nachdenken“. (Swami Sivananda)
Diese Samskara-Vasanas können jederzeit wieder aktiv werden, so tief sie auch im Unbewussten ruhen, wenn ein Sinneseindruck mit ihnen korrespondiert, zum Beispiel eine Zigarettenschachtel.
Da kann leicht Mutlosigkeit aufkommen, „ist eh alles umsonst“.
Nichts ist umsonst!
Wie bei dem Yogi, der in tiefer Meditation am Ufer des Ganges sitzt, bis eine Gruppe von jungen Mädchen vorbei geht. Ihr fröhliches Lachen und das Geklingel ihrer Fußkettchen „wecken“ ihn und er sieht ihnen verzückt nach. Hätte er sich auch nicht gedacht.
Also, keep on tracking.