Eine der Schulen der indischen Philosophie, das Vedanta, kennt den Begriff Maya. Das bedeutet, dass alles, was wir wahrnehmen, Illusion ist.
Um das zu verdeutlichen, führt man gerne das Beispiel der Fata Morgana an. Hier erkennt jeder, dass das Bild einer Oase in der flirrend heißen Luft der Wüste eine Illusion ist.
Jedoch, diese Täuschung ist nur möglich, weil die Sonne scheint. Ohne Sonne keine Fata Morgana.
Die Sonne ist das Synonym für den allem innewohnenden Atman, ohne den es kein Leben und folglich auch keine Wahrnehmung gäbe.
Präziser ausgedrückt bedeutet es, dass wir mit unserem Denken die Welt erschaffen.
Meine Zeit im Yogainstitut war nicht immer ein Zuckerschlecken. Feucht-heißes Klima, welches alle Ledersachen schimmeln ließ. Dunkle, endlos lange Regentage im Monsun und keinerlei Ablenkung von den Studien.
An solchen Tagen fuhr ich mit dem Bus gerne nach Juhu an den Strand, auch wenn der Regen fast waagrecht auf meinen aufgespannten (nutzlosen) Regenschirm peitschte.
Oft hatten solche Spaziergänge eine reinigende, erfrischende Wirkung. Dann sah ich das Meer, den Himmel und hörte das Kreischen der Möwen. Manchmal zog es mich aber noch tiefer in die Unlust. Dann sah ich nur den Dreck und die Kothaufen, die überall am Strand herumlagen. In Indien haben nur 50% Zugang zu Toiletten.
Objektiv gesehen sah der Strand, abhängig vom Wetter, immer gleich aus. Die Möwen waren immer da und die Fäkalien auch. Nur mein Denken lieferte mir unterschiedliche Eindrücke.
Das ist Maya!
In diesem Prozess sind wir ständig verhaftet. Unser Denken bestimmt die Qualität unseres Seins. Yoga ist die Wissenschaft des Denkens. Ohne eine gewisse Disziplin, dieses „Werkzeug“ zu beherrschen, ist an ein befriedigendes Leben nicht zu denken, geschweige denn an eine Weiterentwicklung.
Der Sinn des Lebens ist Erkenntnis zu erlangen. Alles was wir erleben, ist dazu da, uns dahin zu führen. In der Bibel finden wir den schwer zu akzeptierenden Satz: „Wen Gott liebt, den züchtigt er.“
Die Inder sagen, dass wir genau das Karma haben, welches uns diesem Ziel näher bringt. Beide Aussagen sind in ihrem Inhalt gleich.
Manche Ereignisse machen uns perplex, sprachlos oder fassungslos, weil wir sie nie erwartet haben. Es sind solche, die uns aus einem gewissen Trott herausreißen. Im Laufe der Jahre richten wir uns irgendwie ein. Wir arrangieren uns, schließen Kompromisse und glauben, dass es nicht anders geht. Wir fühlen uns nicht unbedingt wohl dabei, denken aber, „dass es nun mal so sei im Leben“.
Dabei merken wir nicht, dass wir uns immer abhängiger machen. Abhängigkeit bedeutet Unselbständigkeit und immer auch Verletzlichkeit.
Wenn wir zum Beispiel von einem Menschen, dem wir vertraut haben, so enttäuscht werden, dass es uns nicht schlafen lässt und die Gedanken immer wieder um diese Verletzung kreisen, dann lohnt es sich, die Botschaft zu suchen, die uns da geschickt wurde.
Vielleicht entdecken wir, dass wir uns zu sehr nach Anderen richten? Vielleicht ist es ein Signal, die eigene Stärke wahrzunehmen oder sich mehr zuzutrauen? Vielleicht entdecken wir, dass wir viel zu lange im Strom mitgeschwommen sind und dass sich das eigentlich recht lauwarm anfühlt?
Wenn wir uns mit diesem Schmerz beschäftigen, ist es nicht ausgeschlossen, dass wir auch „auf andere Leichen im Keller“ stoßen.
Wenn man einen Stein ins Wasser wirft, breiten sich die Wellen kreisförmig aus. Auch die Psyche arbeitet nicht linear.
Es geht bei jedem Ereignis um die Frage, was es uns sagen will. Je intensiver es ist, desto wichtiger ist es für uns. Das muss nicht angenehm sein, das sollten wir nicht vergessen.