Schein und Wirklichkeit

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Einer der großen indischen Heiligen der vergangenen Jahrhunderte war unsterblich verliebt in eine schöne Frau. Sie lebte auf der anderen Seite eines Flusses. Er verzehrte sich Tag und Nacht nach ihr und konnte sich oft nicht auf seine Arbeit konzentrieren. Er schrieb nämlich an einem Epos zu Ehren Gottes.

Eines Nachts saß er bei flackerndem Kerzenlicht in seinem Haus und versuchte, sich zu sammeln. Draußen tobte ein Sturm, der den Fluss zu reißender Strömung anschwellen ließ. Es überkam ihn so eine Sehnsucht nach seiner Geliebten, dass er alle Vorsicht vergaß und sich in den Fluss stürzte, um zu ihr zu gelangen. Halb ertrunken taumelte er in ihr Gemach, in dem sie in tiefem Schlummer lag. Sie war erschrocken und konsterniert, als sie ihn in diesem Zustand vor sich sah. Sie war eine spirituelle Frau und sah es als ihre Aufgabe an, dem Geliebten bei seiner dichterischen Arbeit zur Seite zu stehen. Ihr war klar, dass er darin versagen würde, solange er in dieser selbstzerstörerischen Leidenschaft zu ihr befangen war.

Am Morgen führte sie ihn zu der Statue einer Göttin, der die Dorfbevölkerung täglich opferte. Sie war wunderschön, der Inbegriff der Weiblichkeit. Die Opfergaben wurden ihr durch die Mundöffnung dargebracht.

Die Geliebte geleitete den Dichter zur Hinterseite der schönen Figur und da sah er allerlei Gewürm und Maden, die sich über die täglichen Opfergaben hermachten.

Sie schalt ihren Verehrer, dass er sich so sehr von ihrer Schönheit blenden ließ, dass er ohne Zögern seine Arbeit verließ und sein Leben für äußeren Schein aufs Spiel setzte. Hinter all der Schönheit stehe schon der Verfall.

Dieser Moment war entscheidend für sein weiteres Leben, das er hinfort zum Lob und Preis der einzig wahren Realität verwendete.

Wir Menschen machen diesen Fehler immer wieder, dass wir Unwichtiges für wichtig ansehen und uns vom Schein blenden lassen.

Andererseits sind wir auf die Schönheit, die wir in der Welt sehen, angewiesen, um die Göttlichkeit des Seins zu erkennen. Denken wir nur an den Sternenhimmel, den Anblick der Wellen, wie sie sich am Strand brechen oder einen Sonnenaufgang. Solche Bilder erheben uns über uns selbst.

Gott auch im Hässlichen zu sehen fällt uns schwer. Hier ein kleines Beispiel dafür, das von Hansa Yogendra, der Direktorin des Yogainstituts in Bombay erzählt wird: „ Ein stinkender Haufen Scheiße sagt vorwurfsvoll zu seinem Erzeuger: Du brauchst gar nicht so die Nase über mich zu rümpfen, gestern Abend war ich noch die köstliche Pastete, die du genossen hast. Da warst du ganz begeistert über mich. Also was??“

Im Moment leidet die ganze Welt an dem Virus und langsam wird deutlich, dass die Auswirkungen, vor allem die wirtschaftlichen, uns noch gewaltige Probleme bereiten werden. Es verschwinden wahrscheinlich Hunderttausende von Arbeitsplätzen, weil die Unternehmen pleite gehen. Deutschland hat sich in den letzten Jahren mit Genuss daran gemacht, das Rückrat seiner wirtschaftlichen Stärke, die Autoindustrie, zu demontieren. Jetzt, wo sich die Folgen in den Aktienkursen immer deutlicher zeigen und wo allenthalben Kurzarbeit und Entlassungen anstehen, wacht man langsam auf. So fängt man zum Beispiel wieder an, den bösen Diesel zu loben, nachdem man ihn weiter entwickelt hat und er nun nur noch minimalen Stickoxidausstoß hat.

Gestern kam ich an einer Tankstelle in der Nähe der Autobahn vorbei, die immerhin fünf Elektrozapfsäulen hatte. An einer normalen Tankstelle tanken pro Tag einige tausend Autos. Was folgt daraus für den Elektrohype? Man wird wieder merken, dass der Strom eben nicht einfach millionenfach aus der Steckdose kommt, sondern von Kraftwerken hergestellt werden muss. Elektroautos pusten zwar unmittelbar keine Auspuffgase aus, aber mittelbar.

Wir lassen uns auch hier blenden.

An der Spitze der Weltaktienindizes stehen gegenwärtig Amazon, Facebook, Google und WhatsApp. Wir lesen, dass die alten Industrien im Niedergang begriffen sind. Das sind die, die reale Dinge herstellen. Zum Beispiel Kochtöpfe, Fahrradventile, Stahlbleche, Bleistifte und Gartenpumpen. Alles von gestern, die Zukunft ist digital, heißt es. Dann lasst uns mal einen Blumentopf digital herstellen.

Der 25. Oktober 1929 war der Schwarze Freitag, der Tag, an dem die New Yorker Börse ins Bodenlose stürzte. Was war passiert? Aktienkurse, die man in irrationale Höhen gezockt hatte, die aber durch keine realen Werte gedeckt waren, entpuppten sich als das, was sie waren, nämlich wertloses Papier.

Was ist Amazon? Nichts anderes als ein groß gewordener Krämer!

Wenn nichts mehr durch die sogenannten alten Industrien hergestellt wird, dann hat der Krämer auch nichts mehr zu verkaufen.

Was ist Facebook? Eine Plattform, auf der Millionen ihre Plattitüden austauschen. Nichts von Substanz!

Was ist Google? Ein Nachschlagewerk, dessen man sich bedient, um herauszufinden, wo es die billigsten Zahnbürsten gibt.

Wir lassen uns immer wieder von Talmi blenden.

Der Yogi sieht nicht nur den Blumentopf, sondern auch den Ton, der dafür gebraucht wurde und die Scherben, wenn er wieder zerbrochen ist und in seinen Anfangszustand zurückkehrt.

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