Das Osterfest, das wichtigste Fest der christlichen Religion, ist vorbei. Wir haben leere Kirchen erlebt. Manche saßen vor ihren Computern und haben mitgebetet und die Liturgie mitgesungen. Alles war anders und doch tauchen bei mir immer wieder dieselben Fragen auf, wie jedes Jahr.
Einerseits wird von der „Frohen Botschaft der Auferstehung“ gesprochen und im selben Augenblick taucht das Wort Sünde auf. Jesus, heißt es, sei als Mensch auf die Welt gesandt worden, um zu sterben und die Menschen von ihrer Sünde zu befreien.
Spontan möchte man rufen: „Nein, tu das nicht, wegen mir brauchst du nicht zu leiden!“
Die Frage stellt sich, welches Bild vom Menschen dahinter steckt? Was und wer sind wir?
Auf der Webseite „Evangelischer Glaube-Onlinedogmatik“ lesen wir:
„ ..was will das Wort „Erbsünde“ dann besagen? Ich denke, es ist ein unglücklich gewählter Ausdruck für die wichtige und notwendige Erkenntnis, dass Sünde nicht bloß im individuellen Versagen des Einzelnen besteht, sondern in einem alle und alles übergreifenden Verhängnis, dem keiner entrinnt. Denn diesen oder jenen Fehltritt kann man vermeiden. Aber ein Sünder zu sein – das kann keiner vermeiden! Konkrete Tatsünden sind Einzelereignisse. Doch dass wir Sünder sind, ist ein Dauerzustand. Und der kommt uns nur deshalb „normal“ vor, weil wir nie anders waren. Schon als wir auf die Welt kamen, und jeder uns unschuldig und niedlich fand, hatte Sünde uns auf verborgene Weise im Griff. Und so wie diese Welt beschaffen ist, entrinnen wir ihr auch nie. Denn Sünde beschränkt sich nicht auf punktuelle Fehltritte, die man überspielen könnte, sondern sie ist ein permanenter Gestank, der uns immer und überall anhaftet. Diesen Geruch loszuwerden ist unmöglich, weil er von innen kommt. Und das heißt: Es geht bei diesem Thema nicht um moralische Schwächeanfälle, die vorübergehen, sondern um einen permanenten Schaden, der uns tief in den Knochen steckt. Unser Leben in der gefallenen Schöpfung ist so beschaffen, dass sich das Sündigen darin gar nicht vermeiden lässt. Genauso gut könnte man ins Meer springen und dabei hoffen trocken zu bleiben!“
Es haftet uns also „ein permanenter Gestank“ an. Übersetzt heißt das, dass wir im Grunde schlecht sind. Es ist ein negatives Bild vom Menschen, das da gezeichnet wird. Es ist bekannt, dass ein negativer Gedanke, ein negatives Bild auch negatives Verhalten ergibt.
In der Humanistischen Psychologie bemühen wir uns, den Menschen in seinem So-Sein anzunehmen. Wir sehen ihn als ein Mosaik aus Eigenschaften. All die kleinen Teilchen sind nicht wir, sondern nur ein Teil des Ganzen. Alle sind aber Teil einer an sich positiven Persönlichkeit. C.G. Jung spricht von den sogenannten Schatten. Das sind Teile der Persönlichkeit, die wir verdrängen, weil sie schmerzhaft oder Angst machend sind. Das sind neurotische Störungen. Unsere Lebensaufgabe besteht darin, diese verdrängten Anteile anzunehmen und zu integrieren. ( Ausführlicher dazu in der Kategorie „Psychologie“ die Artikelserie „Yoga und Psychotherapie“ Mai/Juni 2019).
Wir sind keine starren Persönlichkeiten. Die Wahrnehmung, die wir von uns selbst haben, ändert sich von Minute zu Minute. Es ist ein sich ständig änderndes Kontinuum. Insofern können wir nicht sagen: „Das bin ich“, denn einen Moment später fühlen wir uns schon wieder anders.
Es hängt von der uns innewohnenden Ethik ab, wie wir mit uns umgehen und wie wir uns verhalten. Die Lehre, die Jesus im Neuen Testament vermittelt, ist die Botschaft der Liebe. In dem vor Jahrzehnten erschienen Buch von Erich Fromm „Haben oder Sein“ wird sehr schön definiert, was das heißt. Es geht nicht darum, zu sagen: „Ich liebe dich oder ich liebe das“, sondern es geht darum, zu sagen: „Ich liebe!“ Es ist eine Einstellung dem Leben gegenüber, die sich unterscheidet von Misstrauen und Angst gegen alles und jedes.
Wir werden diese Haltung sicher nicht immer praktizieren können, denn wir sind Menschen. Insofern sind die Gebote der Bergpredigt auch als „Leuchtfeuer“ zu verstehen und wenn wir sie nicht immer erfüllen können, so sollten wir uns bemühen. Die einzige „Sünde“ ist, mutlos zu werden und nach dem Hinfallen nicht mehr aufzustehen und es nicht weiter zu versuchen.
Es ist eigentlich eine Religion der Freude und der Liebe. Ich frage mich wirklich, warum es nötig war, daraus eine Geschichte mit Blut, Schmerz, Tränen und „Gestank“ zu machen.
Religion hat ja immer auch einen politischen und gesellschaftlichen Hintergrund. Menschen, die sich schuldig fühlen, haben ein schlechtes Gewissen. Damit sind sie manipulierbar. Wir kennen alle die Drohungen, die über die Jahrhunderte von den Kanzeln auf das schuldige Volk herabgeschleudert wurden. Den Herrschenden kam das zu allen Zeiten sehr zupass, denn – Kirchen und Schlösser standen nie sehr weit auseinander.