Vorbilder

 

Heute ist der erste Mai und das Wetter ist sonnig, die Luft ist einigermaßen warm und wir haben unseren Roller gesattelt und sind nach Nürnberg zur Maikundgebung auf den Kornmarkt gefahren. Wie jedes Jahr gab es viele Stände mit Adana Kebab und Cevapcici und das Volk ließ es sich auf den Bierbänken gut gehen.
Nach einem Bummel auf die Burg fuhren wir in den Stadtteil Gostenhof, dort wo sich seit einigen Jahren eine Szene entwickelt hat, die fast ein bisschen an den Kiez in Friedrichshain oder Kreuzberg erinnert. Ganz respektabel für eine Provinzgroßstadt. Eine Menge Infostände waren aufgebaut und sehr progressiv aussehende junge Leute saßen cool hinter den Auslagetischen.

Und hier fängt jetzt die Geschichte an, weswegen ich das hier schreibe.
Der Mensch braucht Identifikationsobjekte, zumal der junge Mensch. Er braucht Personen, an denen er sich orientieren kann. Er braucht Vorbilder. Er braucht Organisationen, die ihm Begeisterung für Ziele vermitteln. Mit all dem scheint es aber nicht gut bestellt zu sein. Wie wäre es sonst zu erklären, dass all das Feilgebotene und Ausgestellte olle Kamellen von Gestern waren. Da gab es die KPDML ( Kommunistische Partei Deutschlands Marxisten Leninisten). Sie halten unbeirrt an einer Ideologie fest, die gescheitert ist. Es wurde die Internationale gesungen. Schon im spanischen Bürgerkrieg wurden die internationalen Brigaden von Stalin und Genossen verraten und hintergangen. Nach Millionen Toten und Ermordeten ist der Kommunismus sang und klanglos untergegangen. Auf einem der Tische lag eine Maobibel. Mit diesem Traktätchen, das stellenweise so was von banal ist, liefen wir vor 50 Jahren schon herum. Mao, der unendliches Leid über China brachte, der mit seinem „Großen Sprung nach vorn“ kläglich gescheitert ist, der Chinas Tradition und Kulturgüter durch seine Roten Garden vernichten ließ, gilt in diesen sogenannten progressiven Jugendsubkulturen immer noch als Revolutionär. Lenin grinst von einem Plakat herunter. Ich sehe Rudolf Bahros „Kritik des real existierenden Sozialismus“. Ist das heute noch interessant und wichtig? Die Rote Hilfe ist da mit Schriften, wie man sich gegen die „Bullen“ wehrt, über allem schwebt ein längst vergangenes „rotes Lüftchen“. Immer noch „No Pasaran“, La Passionaria und Venceremos. Hier sind alle Leutchen versammelt, die man sonst während des ganzen Jahres nicht zu sehen bekommt. Rastafaris, schwarze Schnürstiefel, Ketten um die Hüfte und viel Blech im Gesicht, Irokesenfrisuren- blau rot grün gefärbt mit Tätowierungen. Jetzt kommt der Demonstrationszug. Vorne weg der „Schwarze Block“. Viele vermummte Milchgesichter. Dann eine Gruppe mit „scheiß auf die Bullen, scheiß auf Deutschland“ und „nie wieder Arbeit“. Ist denen eigentlich klar, was für ein Privileg es ist, ungehindert durch die Straßen laufen zu können und so was zu skandieren?
Immer wieder dazwischen finster blickende Eritreer und Äthiopier, denen ich nicht nachts in einer U-Bahnstation begegnen möchte. Einer fängt, für mich sehr aggressiv, zu schreien an: „Refugees welcome“. Aus Lautsprechern auf einem Lastwagen ertönt wieder die Internationale. Selbst mir fährt die schmissige Melodie mit dem anfeuernden Text noch in die Knochen.

Was mir bei dem Ganzen fehlte, waren Identifikationsfiguren, die nach vorn weisen. Wir hatten Willi Brandt, Martin Luther King, Rudi Dutschke. Heute haben wir ein politisches Klima, das keine Werte mehr vermittelt. Es geht darum, den Status Quo zu erhalten und sich pragmatisch durchzulavieren. Bei dieser Veranstaltung hatte ich den Eindruck, dass da eine bestimmte subkulturelle Szene völlig gegen alle bürgerlichen Ordnungsprinzipien ist, die Wohltaten dieses Staates aber hemmungslos nutzt. Wenn ich nach ein paar Monaten Indienaufenthalt nach Deutschland zurück kam, konnte ich das, was unser Land ausmacht, die saubere Schönheit, die Ordnung und die Organisation schätzen. Es geht auch ganz anders, bzw. es geht dann gar nichts.

Glücklicherweise gibt es eine ganze Reihe von Identifikationsangeboten, die genutzt werden können. Seien sie im religiösen – oder im Naturschutzbereich oder was auch immer.

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