Vairagya

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„Wie man nicht wehren kann, dass einem die Vögel über den Kopf herfliegen, aber wohl, dass sie auf dem Kopfe nisten, so kann man auch bösen Gedanken nicht wehren, aber wohl, dass sie in uns einwurzeln.“

Das sagte Martin Luther. Dies deckt sich wohl mit der Lebenserfahrung der meisten von uns. Nun gibt es im Yoga den Begriff „Vairagya“, das bedeutet nicht Anhaften, weder an Dingen, die man wahrnehmen kann noch an Dingen, die nur in der Vorstellung existieren. Um das verstehen zu können, sollte man wissen, was Yoga bedeutet.

Patanjali definiert in der „Bibel des Yoga“, den Yogasutren: „Yogas chitta vrtti nirodhah.“ Übersetzt heißt das, dass das Denken völlig reglos ist. Das heißt, wenn ein Objekt, zum Beispiel die Leere des Raumes als Denkobjekt „gedacht“ wird, dann bleibt es dabei. Ein Abschweifen findet nicht statt. Das nennt man Meditation.

Nun mag das jeder selbst mit seiner eigenen Meditationspraxis vergleichen. Ich sag‘ jetzt einfach mal, dass wahrscheinlich 99,95 % von uns von dieser Ebene nur träumen können. Wozu aber soll das gut sein? Abgesehen davon, dass jeder Gedanke sowohl physisch als auch psychisch eine Menge Reaktionen im Organismus auslöst und es ein Genuss ist, wenn dieses ewige Rattenrennen der Gedanken endlich verlangsamt ist, verfolgt der Yogi damit nur ein Ziel, nämlich den reinen Geist in sich wahrzunehmen. Ich erinnere an das Bild vom Teich, dessen Wellen (Gedanken) vollkommen verschwunden sind und man so auf den Grund (Geist) sehen kann.

Yoga geht davon aus, dass das, was wir als unser „Ich“ ansehen, eine irrige Identifikation mit der Materie ist. Vergleiche hierzu den Essay „Abhinivesha“ vom 19.11.2017. Man liest immer wieder, dass für Yogis Freude, Leid, Glück, Schönheit, Hässlichkeit usw. gleich ist. „So wie ein Lotosblatt trocken auf der Wasseroberfläche schwimmt, so bleibt der Yogi unberührt von den Erscheinungen des Daseins.“ Yoga bedeutet, sich vom Fluss des Lebens abzuwenden. Jede einzelne Technik weist darauf hin. Leben heißt Bewegung. Yoga Asanas sind oft statisch und zwar über lange Zeit. Der Atem geht normal wie er will. In den Pranayama Übungen aber wird er reguliert. Bei der Lebensführung wird ein fester Rhythmus angestrebt. Spontaneität ist nicht gefragt.

All das dient nur dem einen Zweck, die Oberfläche des „Teiches“ zu glätten. Dass uns das auf eine andere Bewusstseinsebene bringt, können wir immer wieder selbst erfahren. Wenn es uns gelingt, ein bisschen Ruhe in unsere Gedanken zu bringen, merken wir ganz deutlich, dass wir auf Herausforderungen anders reagieren. Probleme oder Ängste, die bis dato existierten, sind plötzlich gar nicht mehr so wichtig usw.

Es leuchtet also ein, dass diese Erfahrung noch sehr, sehr viel weiter ausgedehnt werden könnte, wenn man denn die nötige Konsequenz aufbringen würde.

Meine Webseite heißt „Yoga-Life“. Yoga im Leben. Ich habe schon öfter darüber geschrieben, dass ich meine, dass man sich als Normalmensch nicht so weit zurückziehen kann, dass keine unerwünschten Eindrücke mehr ins Denken kommen und dort ihr (Un)wesen treiben. Andererseits ist es ein Unding, ständig zu bedauern, dass man das hehre Ziel „Yogas chitta vrtti nirodhah“ wohl nicht erreichen wird.

Was also bleibt? Wir sind im Dasein mit seinen täglichen 100 000 Sinneseindrücken, aber wir sind ihnen nicht vollkommen hilflos ausgeliefert. Ein Beispiel von mir: Ich twittere gern. Man erfährt Neues und anstatt nur passiv aufzunehmen, kann man sich dazu äußern. Man erhält, vor allem im politischen Bereich, reichlich Gelegenheit, sich zu ärgern und den dann in Tweets loszuwerden. Man kann sich leicht darin verlieren. Wenn ich das merke, höre ich für ein paar Wochen damit auf. Die Älteren kennen den tickenden Wecker im Schlafzimmer. Man hört das Ticken aber normalerweise nicht, weil man seine Aufmerksamkeit nicht darauf richtet. Hier liegt das Geheimnis von Vairagya. Es kommt auf die Werte an, die wir haben. Wir müssen uns die Frage ständig stellen, womit wir unsere Lebenszeit verbringen. Will ich mich ins Parteiengezänk einmischen? Wenn ich ein paar Jahrzehnte zurück schaue und realisiere, was da alles stattgefunden hat und ob das mein Leben wirklich beeinflusst hat, muss ich sagen, dass die Antwort negativ ausfällt. Also komme ich zu dem Schluss, dass es Wichtigeres gibt.

Werte wie Liebe, Vertrauen, Mitmenschlichkeit, Genügsamkeit usw. sind ewig. Warum? Weil sie uns persönlichkeitsmäßig und spirituell bereichern. Wenn wir solchen Ideen und Inhalten Gewicht beimessen, dann wird unsere Aufmerksamkeit automatisch mehr in diese Richtung gelenkt und Unerwünschtes wird weniger wahrgenommen. So ist es möglich, die Wellen des Teiches zu glätten.

„Wende deine Energie dafür auf, mehr Glück in dein Leben zu bringen.“

Unbekannt

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