Ich vergebe

Img 20240818 113246Wenn man in der Bibel liest, hat es den Anschein, dass Gott häufiger zu den Menschen sprach als heute. Er erscheint ihnen in Träumen, spricht aus einem brennenden Dornbusch und ist überhaupt allgegenwärtig. Auf Anweisung Gottes baut Noah seine Arche, macht sich vor der ganzen Gemeinde lächerlich und Jakob lässt sich auf einen Ringkampf mit ihm ein.

Dagegen schaut es heutzutage recht trübe aus – meinen wir. Aber – vielleicht meinen wir das nur, weil wir nicht aufmerksam sind oder so gefangen in unseren Vorstellungen, Erwartungen und Vorhaben.

Der Samstagabend, ein Bilderbuchsommerabend, lud zu einer Tour ein. Der Besuch des Frohnbergfestes in Hahnbach bot sich an. Alte, schattenspendende Bäume mit vielen Bankreihen, umweht von Bratwurstdüften, erwarteten uns.

Eigentlich ging das Fest aus einer Wallfahrt hervor. Da man die Pilger auch verköstigen musste, entwickelte sich daraus ein gastronomisches Angebot. Bevor wir uns den leiblichen Genüssen hingaben, schlenderten wir zur Wallfahrtskirche, vor der gerade ein Gottesdienst stattfand. Eigentlich absichtslos blieben wir kurz stehen, und – blieben, denn die Worte des Pfarrers hielten uns fest.

Er sprach über Vergebung und erwähnte in diesem Zusammenhang auch Worte des Thomas von Aquin zu diesem Thema:

Thomas unterscheidet zwei Formen der Vergebung. Die erste ist „hardcore“, sie verlangt, dass der, dem weh getan wurde, aktiv auf seinen Peiniger zugeht und ihm Vergebung anbietet. Das ist schon in Richtung Heiligsein.

Die zweite ist die „Jedermannform“, die laut Thomas von jedem erwartet werden kann, der den Weg zum Menschsein geht. Wenn der, der uns weh getan hat, zu uns kommt und ernsthaft um Vergebung bittet, so müssen wir sie gewähren.

Heute morgen nun fiel mir ein Buch in die Hand, das seit zwanzig Jahren in meiner Bibliothek steht.

Der Titel ist: „Ich vergebe“ von Colin C. Tipping, ISBN-13:978-3-933496-80-5.

Bedeutungsvoll finde ich vor allem den Untertitel: „Der radikale Abschied vom Opferdasein.“

Das ist der Aspekt, der beim Vergeben meist unbeachtet bleibt. Wir fühlen uns in erster Linie als die Großmütigen, die dem „armen Sünder“ eine Gnade erweisen. Dabei ist es für uns selbst erst recht „profitabel“, falls man dieses Wort in diesem Zusammenhang gebrauchen will.

Vergebung ist ein Akt der Selbstbefreiung und der Autonomie. Sie macht uns selbst stark und unabhängig.

Als ich noch Paarberatung machte, wurde ich häufig mit viel Negativität konfrontiert. „Den mach‘ ich fertig“, oder noch schlimmer: „Der kann lange warten, bis er seine Tochter wieder sieht“.

Hauptsächlich waren es die Frauen, die diese Wut in sich hatten.

Das erste Ziel der Therapie war, dass sie sich darüber klar wurden, dass sie durch diese Wut weiterhin am Stöckchen des Verflossenen gingen. Anstatt ihn zu schädigen, was ihre Absicht war, sperrten sie sich selbst im Käfig ihrer Wut ein und ließen ein freies Leben an sich vorüberziehen.

Ich weiß nicht, wie Sie Gott definieren. Sehen Sie einen persönlichen Gott, glauben Sie an eine universelle Macht oder die Summe aller Energie oder was auch immer?

Was auch immer Ihre Vorstellung ist, es ist eine Instanz außerhalb Ihrer selbst. Also „etwas“, das Sie über die Begrenzungen Ihres Egos hinausführt. Das ist Spiritualität!

Gottesferne ist gefangen sein im eigenen Ego.

Gott spricht nach wie vor zu uns. Seine Wege sind deren viele. Manchmal führt er uns zu alten Erkenntnissen über eine Maß Festbier und drei Bratwürste. Wir müssen nur lauschen und sehen.

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