Das Mögliche und das Unmögliche

Img 20240108 182201In der Entwicklungspsychologie wird gesagt, dass die ersten vier Jahren im Leben eines Menschen entscheidend für sein zukünftiges Leben sind. Wenn wir uns ansehen, wie kleine Kinder voller Entdeckerfreude mit lachenden Gesichtern in die Welt hinausgehen, dann können wir eine Ahnung davon bekommen, wie es sein könnte, wenn dieses Entdecken ungestört seinen Lauf nehmen würde.

Die modernen Eltern nehmen diese Prämisse oft zu wörtlich und schränken ihre Kinder wenig bis gar nicht ein. Die Folge ist, dass sie sich kleine Tyrannen heranziehen, die sowohl gegenüber den eigenen Eltern als auch gegenüber dem Rest der Welt ein egozentrisches Verhalten an den Tag legen.

Im 13. Jahrhundert wollte Kaiser Friedrich II. in einem Experiment feststellen, welche Sprache Kinder entwickeln, wenn sie ohne Ansprache und Zuneigung aufwachsen. Über den genauen Hergang des Experiments ist wenig bekannt. Das Ergebnis seines Experiments war allerdings niederschmetternd: Alle Kinder starben, wohl auf Grund fehlender sensorischer Stimulation. Er schrieb dazu: »Sie vermochten nicht zu leben ohne das Händepatschen und das fröhliche Gesichterschneiden und die Koseworte ihrer Ammen.« (wissen.de.)

Dieses Extrembeispiel zeigt, dass ein neugeborener Mensch ins Leben hineingeführt werden muss. Es hat im Laufe der Jahrtausende unzählige Versuche und Methoden gegeben, wie das zu geschehen hat. Das ging von Laissez faire bis zu schwärzester autoritärer Erziehung.

Sie alle wurden von unvollkommenen Menschen praktiziert, die weitgehend unbewusst ihre eigenen Probleme und Neurosen an das Kind weiter gegeben haben.

Ich glaube, die optimalste Erziehung wurde früher von den Stammesgesellschaften praktiziert, bei denen die Jungen und Mädchen von den Älteren erzogen wurden und im Rahmen der Traditionen ins Erwachsenenleben hineinwuchsen. Auch Menschen außerhalb des Geschlechterschemas waren hochgeachtet, zum Beispiel die sogenannten Two-Spirits bei den nordamerikanischen Indianern.

Wie auch immer, in der einen oder anderen Art wächst so ein Menschlein heran. Dieses Heranwachsen wird nicht optimal verlaufen. Es wird mehr oder weniger Liebe und Zuneigung erfahren. Es wird Geborgenheit und Verlassensein erfahren. Es wird sich klein und schäbig und auch stark und mächtig vorkommen und es wird gewinnen und verlieren. Kurz, es wird die ganze Palette menschlicher Existenz erfahren.

Wenn wir an die Karmatheorie glauben, dann kommt noch dazu, dass es kein „neuer Mensch“ ist, sondern ein uraltes Wesen, das auf dem Weg ist.

Wie sollen wir mit unserer Vergangenheit umgehen? Im letzten Abschnitt eines langen Lebens kann ich Folgendes dazu sagen: Die Eindrücke, die uns in der frühen Kindheit vermittelt wurden, bleiben ein Leben lang. Die Ängste und Verletzungen, die uns von Eltern und Lehrern zugefügt wurden, werden uns nicht verlassen. Wenn wir uns als Kind bei Kränkungen in uns zurückgezogen haben und später dann mit Angriff und Verweigerung reagierten, so bleibt dieses Muster und in ähnlichen Situationen wird es wieder auftauchen. Auch die Wut auf die Verursacher bleibt lange Zeit.

All das ist Karma der Vergangenheit und ist nicht zu ändern. Was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden.

Wenn man sich allerdings in einen bewussten Entwicklungsprozess begibt, kann man lernen, mit dem Vergangenen anders umzugehen. Das heißt, wir können aus den bekannten Reaktionsstrukturen ausbrechen und die Zukunft selbst definieren.

Das heißt aber nicht, dass wir bei Konflikten nicht instinktiv wieder zu alten Reaktionsmustern tendieren, natürlich auch verbunden mit den alten Gefühlen von Hilflosigkeit, Trotz usw.

Wenn wir aber einige Jahrzehnte „auf dem Weg“ sind, können wir sie wahrnehmen und sind aufgrund unserer „Selbsterziehung“ in der Lage, „erwachsen“ zu reagieren.

Glück, Frieden, Lebensfreude bestehen nicht darin, dass wir immer auf Wolke Sieben schweben, sondern, dass wir die negative Vergangenheit durch positives Handeln verwandeln.

Anders ausgedrückt, wir nehmen das verletzte innere Kind in die Arme und sagen ihm, dass es sich jetzt geborgen fühlen darf und nicht mehr schreien muss.

Das alles gilt nicht für Yogis, die auf der Samadhi-Ebene sind. Gedanken und Gefühle sind Ausdruck der Chitta (grob übersetzt mit „Denken“). All das ist Ausdruck von Materie. Sie aber sind auf der Ebene des Purusha.

Aber, wie in der Bhagavad Gita steht, das schafft Einer unter einer Million.

 

 

 

 

 

 

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