Vor einigen Tagen fuhr ich in die Stadt und schaltete einmal wieder die Nachrichten ein. Normalerweise mach‘ ich das nicht, weil es meist nur tendenziöse Halbwahrheiten sind, die nichts als Panik erzeugen.
Und – siehe da, folgendes kam: Im Kreis Weilheim-Schongau treiben drei Wölfe ihr Unwesen. Sie haben schon Dutzende Weidetiere gerissen. Der Landrat hat einen Antrag auf den Abschuss bei der Regierung von Oberbayern eingereicht, der jetzt geprüft wird.
Als Begründung führt er an: Man müsse sich entscheiden, ob man weiterhin die seit Jahrhunderten betriebene Weide- und Almwirtschaft wolle, oder lieber Wölfe. Viele Bauern dächten ans Aufhören, weil beides nicht vereinbart werden kann.
Aus Kreisen der Tierschützer, allen voran vom Bund Naturschutz, kam ein Aufschrei des Protestes. Man kann doch diese armen Wölfe nicht abschießen usw., usw.
Das macht mich schon sehr nachdenklich. Haben Sie schon einmal eine Schlachtung einer Kuh, eines Schweins oder eines Schafs „Life on Stage“ miterlebt? Ich will hier nicht für den Vegetarismus werben. Ich will nur sagen, das ist keine „Proseccoparty“. Ich habe als kleiner Junge einmal einen ganzen Nachmittag ein angebundenes Kalb in unserem kleinen Dorfschlachthaus beobachtet und getröstet, bis dann endlich der Metzger kam. Die Angst war förmlich fühlbar.
Letztes Jahr waren wir einmal wieder oben auf der Kampenwand bei Aschau. Auf den Almen weideten Kühe, man hatte den Eindruck, sie sind glücklich und genießen ihre Freiheit bis zur Übermütigkeit. Sie wirkten ganz anders als Stallkühe.
Jetzt stellen Sie sich eine dunkle Nacht vor. Die Herde liegt friedlich beim Wiederkäuen oder weidet. Plötzlich kommt Unruhe auf. Die Witterung von Wölfen liegt in der Luft. Dann beginnt das Schlachten. Nicht das kurze und schmerzlose mit dem Bolzenschussapparat, sondern das Totbeißen. Eine nach der Anderen. Es ist nicht so, dass nur eine getötet wird. Nicht nur der Mensch kennt den Blutrausch. Vierzig gerissene Schafe in einer Nacht sind keine Seltenheit.
Stellen Sie sich vor, ein Wolf reißt Ihnen die Kehle auf und verbeißt sich darin, bis Sie tot sind?
Wenn es jetzt Wildrinder wären, Büffel oder Moschusochsen oder auch Bergschafe, wäre es etwas anderes. Sie haben noch ihre Instinkte. Sie können sich auch wehren.
Hier aber, in diesem dicht besiedelten Land, haben wir es mit domestizierten Tieren zu tun, die der Mensch für seine Zwecke ihrer Wehrhaftigkeit beraubt hat. Derselbe Mensch, der sich jetzt, aus einer Laune heraus, einbildet, dass Wölfe einfach wieder dazugehören sollen.
Es ist vollkommen klar, dass die Wolfspopulation zunehmen wird. Das bedeutet das Ende der Almwirtschaft und der Wanderschäferei. Man kann eine Alm oder eine Weidelandschaft wie im Allgäu nicht „wolfsfest“ einzäunen. Man kann auch nicht Tausende von Kangals, das sind anatolische Kampfhunde, ausbilden und halten. Also werden Kühe und Schafe in Ställe gesperrt und dann geht das Gejaule wieder an, von wegen artgerechter Haltung usw.
Ich habe vor einigen Jahren eine Diskussion von Wolfsgegnern und -befürwortern gesehen und da ist mir ein Mann in Erinnerung geblieben. Es war so ein bebrillter Grundschullehrertyp, einer, für den Birkenstocklatschen wie geschaffen sind. Auf die Frage, ob er schon mal einem Wolf gegenüber gestanden hat, antwortete er mit leuchtenden Augen: „Ja, das war eine der Sternstunden, diese Wildheit, diese Unabhängigkeit, diese unbedingte Freiheit.“
Für mich war klar, dass er seine Sehnsucht nach eben diesen Eigenschaften aus seiner domestizierten Birkenstockexistenz auf den Wolf projizierte. Lebe du, Wolf, was ich mich nicht traue zu leben.
Ich hatte diesen Gedanken beim Lesen von Geschichten über Wolfsbegeisterte schon öfter. Es ist immer die Rede von Unabhängigkeit, Freiheit, Wildheit usw.
In der Psychologie nennen wir das Projektion. Ein Anderer wird für die eigenen Schwächen verantwortlich gemacht, oder, wie in unserem Fall, er soll die eigene Unfähigkeit zur Verwirklichung von Freiheitswünschen stellvertretend leben.
Die Frage stellt sich, ob diese „Wolfsmenschen und auch -menschinnen“ nicht beziehungsgestört sind und stattdessen ihre Sehnsucht nach Beziehung auf gefährliche Tiere projizieren.
Es geht ja auch nicht nur um Weidetiere. Wenn sich der Wolf weiter ausbreitet, und das wird er, denn er hat ja keine Feinde, dann wird sich das bis ins Kleinste auch auf unser tägliches Leben auswirken.
Als junger Sozialpädagoge arbeitete ich in einem Heim im Harz. Da sind wirklich große, dichte Wälder. Im Sommer ging ich mit kleinen Gruppen abends mit Schlafsäcken los, um draußen zu übernachten. Das war Abenteuer. Heute würde ich das in dieser Gegend nicht mehr riskieren. Damals waren es Füchse und Rehe, heute…?
Für mich ist es eine seltsame Art des Tierschutzes, wenn man ein Raubtier in einem Land wie dem unseren auf Nutztiere loslässt und verbietet, dass diese geschützt werden.
Wölfe sind ja intelligente Tiere. Sie werden sehr bald merken, dass ihnen nichts passiert und ihr Verhalten dementsprechend einrichten.
Am meisten aber beunruhigt mich, dass eine Gruppe von sogenannten Naturschützern mit ihren unbearbeiteten Neurosen ein ganzes Land terrorisiert.