Weisheit oder Resignation?

IMG_20160126_190252In einem der Werke des bekannten deutschen Indologen, Helmut von Glasenapp, findet sich folgende Überlegung:

Der klassische brahmanische Lebenslauf des alten Indiens teilt sich in die Phasen Kindheit-Erziehung, Beruf-Familie, Rückzug aus der Welt und Wanderschaft als Sadhu. Das Ziel ist die zunehmende und schließlich vollkommene Abkehr vom Weltlichen und dem ausschließlichen Streben nach Gottesverwirklichung.

In dieser letzten Phase des Lebens wird aller Besitz aufgegeben, die sinnlichen Bedürfnisse auf ein absolutes Minimum reduziert und der Tag besteht aus Gebet und Meditation.

Es gibt Geschichten, dass Eremiten lange Überlegungen anstellten, auf welches Minimum sie ihren Lendenschurz reduzieren könnten, um nur ja nicht zu viel an weltlichem Besitz mitzuschleppen. Aber – auch wenn man wenig besitzt, ist man nicht von Habgier befreit.

Der legendäre König Janaka berief viele Weise und Rishis an seinen Hof, um mit ihnen über die Essenz des Lebens zu disputieren. Eines Tages befand er sich in Gesellschaft einer dieser Weisen. Sie ergingen sich in den prächtigen Gärten. Plötzlich gab es großes Geschrei. Die Bediensteten rannten herbei und schrien, dass ein Feuer im Palast ausgebrochen sei. Der König, der natürlich selbst ein Yogi war, blieb gelassen und verschwendete keinen Gedanken an den Verlust seines Palastes mit all seinen Kostbarkeiten, während der Weise, der sich der Armut verschrieben hatte, außer sich geriet, weil seine geringen Habseligkeiten verbrannten.

Man könnte jetzt natürlich anmerken, dass es beim König egal sei, ob einer seiner Paläste in Flammen aufgeht, denn er hat ja mehrere davon. Der arme Sadhu aber nennt nur ein kleines Bündel sein eigen. So kann man das aber nicht sehen, denn es geht dabei um die innere Haltung, und anhaften kann man auch an den Kleinigkeiten.

Zurück zu Glasenapp. Er merkt an, dass die Gefahr besteht, dass man auf die Ebene von Tieren absinkt, die nur noch an die Befriedigung der rudimentärsten Bedürfnisse denken, bei dem Bemühen, ein Leben der absoluten Vereinfachung zu führen. Dass das ein Dasein ohne Geistigkeit, ohne Ehrgeiz und ohne Ziele sein kann.

Ich habe selbst bei einer Wanderung in den West-Ghats bei Bombay, bei den kleinen Tempeln, die überall zu finden sind, Gruppen von Sadhus gesehen, die herumlungerten und in Wolken von Haschisch gehüllt waren.

Ich hatte nicht den Eindruck, dass bei ihnen große spirituelle Energie vorhanden ist. Später sind mir solche Gestalten öfter an den bekannten spirituellen Orten wie Benares und Bodhgaya begegnet. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie alles andere außer sie selbst nicht mehr interessiert.

Wenn wir uns umsehen, dann gibt es vieles, über das man sich wirklich aufregen könnte. Ich wüsste im Moment gar nicht, wo ich anfangen und wo ich aufhören sollte. In meinem Alter hat man schon viele Trends kommen und gehen sehen. Vieles ähnelt sich. Offensichtlich muss jede Generation die gleichen Torheiten begehen. Von den Entwicklungen im politisch-gesellschaftlichen Bereich will ich gar nicht reden.

Yogis ziehen sich von der Welt zurück. Ihr Ziel ist „nicht von dieser Welt“, um es mit biblischen Worten auszudrücken. Sie betrachten die Geschehnisse als Spiel der Gunas, die ein Drama auf der Weltbühne kreieren. Der einzige Zweck dieses Geschehens besteht darin, dem Zuschauer Erfahrungen zu ermöglichen, die ihn auf seinem spirituellen Weg voranbringen.

Die Frage, die man nie vergessen sollte, lautet: Was bedeutet das, was ich da erfahre und was die vielfältigsten Emotionen in mir weckt für mich, in diesem Moment? Was will mir das sagen? Welche Hilfe wird mir da gerade angeboten?

Diese Herangehensweise bringt uns zu einer positiven Haltung gegenüber all dem Negativen und Unvollkommenen, worüber wir uns ständig ärgern könnten.

Das Gegenteil davon ist das dumpfe Ertragen, der Groll und der latente Ärger, den wir durch ein Lächeln und lockere Sprüche wie „don’t worry, be happy“ nur unvollkommen übertünchen können.

Es geht um nichts weniger als darum, ob wir inmitten der Unzulänglichkeit des äußeren Geschehens wirklich positiv von innen heraus leben können, oder ob wir resignativ hinnehmen und letztlich unglücklich sind.

Wir können als einzige wirklich in unser Inneres sehen und fühlen ganz genau, ob wir aufgrund unserer philosophischen Haltung „weise“ leben oder nur ein „heiliges Grinsen“ im Gesicht tragen und innerlich unzufrieden sind.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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