Das Weltbild des Yoga

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Das Weltbild des Yoga basiert auf der dualistischen Samkhyaphilosophie. Dualistisch bedeutet, dass von zwei völlig getrennten und unterschiedlichen Wesenheiten ausgegangen wird, aus denen die Welt besteht. Das Samkhya ist eines der sechs Systeme der brahmanischen Philosophie.

Purusa – Der wahre Mensch

Die erste Wesenheit wird mit Purusa bezeichnet. Das bedeutet Mensch. Wir verstehen darunter den innersten Wesenskern eines jeden Menschen. Seine innerste Seele. Purusa ist absolut statisch, seit Ewigkeit in sich ruhend, losgelöst von allem und von nichts berührbar. Er hat kein Verlangen, nach was auch immer. Für ihn gibt es kein Suchen und kein Streben. Er ist in sich vollkommen , von Beginn an, für alle Ewigkeit. In unserer Kultur kommt der Begriff ”Seele” dem am nähesten, was wir uns unter Purusa vorstellen können. Jedes lebende Wesen besitzt einen Purusa.

Wenn wir ”Ich” sagen, meinen wir normalerweise unseren Organismus, der aus Körper und Psyche besteht. Das Ziel allen Yogas ist, den Purusa als unser wahres, vollkommenes Ich wahrzunehmen.

Stelle dir den Purusa als einen Diamanten vor, glasklar, hell strahlend und ohne jede Farbe. Er ist umhüllt von Schleiern farbigen Lichts. Dadurch erscheint er selbst farbig. Tatsächlich jedoch reflektiert er das Licht nur. Die Schleier sind unsere nie ruhenden Gedanken, gespeist aus einer unendlichen Zahl von Sinneseindrücken. Ohne das Licht des Diamanten wären die Farben nicht sichtbar. Übersetzt heißt das, dass eine stoffliche Existenz ohne Seele nicht möglich ist. Der Purusa ist also die Quelle unseres Denkens, unserer Existenz. Indem er aber die Farben der Welt der Sinne reflektiert, erscheint er uns identisch mit ihnen. Das ist der Grund, weswegen wir ihn, unser wahres Selbst, nicht erkennen können.

Was aber hat es mit den farbigen Schleiern auf sich? Woraus bestehen sie? Was ist ihr Wesen? Wir wollen uns jetzt das andere Grundprinzip anschauen.

Die Gunas – oder der Tanz der Schleier

Die zweite Wesenheit ist Prakrti. Das heißt: das Zuerst-Gemachte. Prakrti ist das, was wir als Schöpfung wahrnehmen. Man könnte auch Materie übersetzen. Sie ist in ständiger Bewegung, in immerwährendem Werden und Vergehen. In der indischen Mythologie ist dies sehr schön dargestellt in der Gestalt des Shiva Nataraja, des tanzenden Shiva. Shiva repäsentiert den göttlichen Aspekt des Vergehens und Neuentstehens. Als Nataraja durchtanzt er die Schöpfung, zerstört und erschafft fortwährend neu und bleibt selbst, ein ewiges Lächeln auf den Lippen, unberührt davon. Er symbolisiert den Purusa, ewig, in sich selbst ruhend. Seine weibliche, tanzende Seite, Shakti, ist vergleichbar mit Prakrti. Sie ist in immerwährender Bewegung, dem Tanz des Erschaffens und Ersterbens. In diesem Bild ergänzen sich das männliche und weibliche Moment.

Was du da siehst, ist das Leben in all seiner Farbigkeit und mit den Höhen und Tiefen, dem Glück und dem Leid.

Wäre es nicht manchmal wünschenswert, das ganze Drama mit ein wenig Distanz betrachten zu können, sich seines Purusa, seines inneren, vollkommenen Menschen bewusst zu sein?

Ich sagte oben schon, dass es das Ziel des Yogas ist, sich seiner wahren, vollkommenen Natur bewusst zu werden. Dann hört alles Kämpfen, alles Rasen und Streben auf, weil es nichts mehr zu erstreben gibt.

Während es nun unzählige Purusas gibt, die zwar gleichartig aber nicht identisch sind, gibt es nur eine Prakrti.

Sie setzt sich zusammen aus drei verschiedenen Qualitäten. Diese drei Qualitäten sind in allem was existiert.

Die erste dieser Qualitäten ist Sattva, das Reine, das Klare, das Erkennende. Wenn du z.B. in einem Zustand von hoher Wahrnehmungsfähigkeit bist, vollkommen wunschlos ohne das ständige „ich will “ und „ich muss“. Du bist nicht träge oder müde, sondern hellwach, dann dominiert in diesem Moment das Sattva-Prinzip oder, wie die Yogis sagen, das Sattvaguna. Das Wort Guna bedeutet Schnur, Strick oder Faden. Wie in einem Seil drei Schnüre miteinander verdreht sind, so sind in jedem Existierenden auch die drei Gunas oder Grundqualitäten vertreten.

Das zweite Prinzip ist Rajas, das Veränderliche. Rajas bedeutet Staub. Es ist der Drang, tätig zu werden, etwas zu bewirken, zu handeln. Es trübt das reine Bewusstein des Sattvaguna und legt sich wie Staub vor die reine Erkenntnisfähigkeit. Rajas holt dich aus der klaren sattvischen Wahrnehmung.

Das dritte Guna ist Tamas, das Träge, Dunkle, Beharrende.

Mutlosigkeit, Gefühle von Schwäche und Minderwertigkeit, geistige und körperliche Trägheit, Faulheit usw. sind Ausdruck von Tamas. Es ist das Schwere in uns, das was uns hinter dem Ofen hält, wenn sich ein Teil in uns gerne den Wind um die Nase wehen lassen möchte. Dann kommen Gedanken, dass es ja doch keinen Sinn hat, mal was Neues zu probieren und man sowieso nicht gut genug ist. Du kennst das alles. Tamas zieht nach unten und hält zurück. In einem Fußbodenbelag aus Marmorplatten dominiert auch Tamas. Aber es ist auch Rajas vorhanden, sonst würden die Platten ewig halten. Selbst Sattva ist in winziger Menge, unmerklich vorhanden.

Alle drei Gunas sind also ständig präsent. Auch wenn immer eines gerade dominiert, so liegt es in ihrer Natur, dass eines der beiden anderen danach drängt, die Oberhand zu gewinnen.

Aus „Das Yogalehrbuch“, Gerhard Pflug, Schirner Verlag 2004

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