Pädagogik Teil 4

Maharadschas sind sagenhaft reich. Das weiß jeder. Sie können sich allen Luxus dieser Welt leisten und es kostet sie nur ein müdes Lächeln.

Einer von diesen Potentaten hatte, wie sollte es anders sein, einen sagenhaft ausgestatteten Palast. Marmor, Gold und edle Steine zuhauf. Dieser Mann hatte aber noch eine andere Leidenschaft, nämlich die Frauen. Sie waren überall im Palast und tanzten in verführerischsten Kleidern oder auch ohne, vor ihm. Seine geheimsten Wünsche wurden in derselben Minute, da sie gestellt wurden, erfüllt. Kurzum, für ihn erfüllte sich der Traum aller Männer.

Sogar die Decken und Wände des Palasts waren mit weiblichen Abbildungen in den gewagtesten Posen geschmückt.

Es kam, wie es kommen musste. Die Manneskraft schwand zusehends. Wohin er auch blickte, er war von Brüsten und Popos umgeben und sie langweilten ihn tödlich. Seine Berater griffen tief in das überlieferte Wissen zur Heilung seines „Leidens“. Man zerstieß Perlen und löste sie in Wein. Heilkräuter wurden verwendet, aber – wir ahnen es schon, alles blieb vergeblich.

Eines Tages kam ein heiliger Mann, wie sie ja im alten Indien allenthalben herumgelaufen sind, im Palast vorbei und wurde um Rat gefragt. Er sah sich kurz mit scharfem Blick den Herrscher und den Palast an und sagte, eine Heilung sei sehr leicht möglich.

Dazu müsse der Maharadscha den Palast aber verlassen und für ein halbes Jahr in den Dschungeln seines Reiches bei Jagd, ausgedehnten Ritten und Märschen zu neuer Energie kommen.

Natürlich wissen wir, wie die Geschichte endete. Durch die Begrenzung der sinnlichen Überflutung gewann der Radscha seinen natürlichen Appetit auf das weibliche Geschlecht zurück und genoss Letzteres hinfort in weiser Beschränkung.

Wenn ich so durch die Läden und Straßen unseres Landes gehe, sehe ich häufig Kinder, die mich an die geschilderte Geschichte erinnern. Sie rennen schreiend und quiekend herum (ich meine das jetzt wirklich). Die Eltern stehen hilflos lächelnd und auch etwas verlegen dabei. Manchmal wird auch versucht, einzugreifen:„Kevin komm jetzt sofort her, sonst wird Mami richtig böse.“ Da aber Kevin nicht dumm ist und schon lange weiß, dass Mami nicht richtig böse wird, weil sie sich das gar nicht traut, macht er genau das, was er will.

Stellen wir uns einmal vor, wie die Welt sich für ein kleines Menschlein darstellt. Sie ist riesig. Es kennt nicht die Regeln, nach denen das alles, was es sieht, abläuft. Es sieht seine Eltern, die es wohlwollend betrachten und die mehr seine Freunde sein wollen als Erziehungspersonen. Aber sie sind nicht seine Freunde, sie sind seine Eltern und haben die Aufgabe, es entsprechend seiner Fähigkeiten und seiner Kapazität in diese große, weite Welt hinaus zu führen. Deshalb müssen sie sie begrenzen, dass sich das Kind nicht verläuft in seiner eigenen Grenzenlosigkeit. Dazu gehört auch, dass Eltern ebenfalls konfliktbereit sind und aushalten, dass das Kind mal auf sie böse ist. Hier haben wir einen sekundären Lerneffekt, weil das Kind lernt, dass auf Konflikte auch wieder Versöhnung folgt und dass das auf den jeweiligen Streitfall beschränkt ist und nicht die ganze Person für immer betrifft.

Idealerweise werden die altersgemäßen Grenzen mit dem Kind gemeinsam festgelegt und begründet. Es müssen auch Konsequenzen dargestellt werden, die in Zusammenhang mit dem jeweiligen Fall stehen. Es sollte nicht sein, dass das Kind für inadäquates Verhalten im Supermarkt dadurch bestraft wird, dass es zum Beispiel keinen Nachtisch bekommt. Besser ist es, ihm zu sagen, dass es dann nächstes Mal nicht mehr mit darf. Das ist einsehbar.

Das Kind muss erleben, dass Grenzen veränderbar und flexibel sind. Es ist Partner und nicht Gegner der Eltern.

Durch das partnerschaftliche Führen durch altersgemäße Grenzen lernt der Mensch dann, sich selbst Grenzen zu setzen, um nicht zu einem innerlich halt – und steuerlosen Maharadscha zu werden.

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