Nun ist es also passiert. Der amtierende Fußballweltmeister musste in Schmach und Schande nach der Vorrunde nach Hause fahren. Ich gehe davon aus, dass alle beteiligten Spieler gute Fußballer sind, die eigentlich einiges zustande bringen sollten.
Ich bin kein Fußballfachmann, aber als Psychotherapeut verstehe ich einiges von der Psyche der Menschen und den Strukturen, nach denen sie funktionieren.
Fußball ist ein Kampfsport. Der Gegner soll besiegt werden. Das ist das Ziel.
Wenn die Prärie-Indianer im vorletzten Jahrhundert zur Büffeljagd auszogen, so geschah das nicht ohne Vorbereitung. Am Vorabend der Jagd wurde der Büffeltanz getanzt, um Wakan Tanka für sich zu gewinnen. In diese Zeremonie wurde alle psychische Kraft des Einzelnen gelegt, um eine starke Gruppenidentität zu erreichen. „Wir, die Hundebande der Hunkpapa Sioux ziehen morgen auf Jagd und wir werden erfolgreich sein, denn davon hängt das Überleben unserer Gruppe ab.“ Bei den heutigen Amerikanern beobachten wir, dass beim Erklingen der Nationalhymne die rechte Hand aufs Herz gelegt wird, ebenso beim Hissen der Flagge. Kein Brite wird sitzen bleiben, wenn die Hymne erklingt.
Das alles sind Rituale, die eine gemeinsame Identität herstellen sollen. „Right or wrong, my country.“
Was sahen wir dagegen in Deutschland vor der Weltmeisterschaft? Die Bezeichnung „Deutsche Nationalmannschaft“ ist ins Gerede gekommen. Was ist eigentlich noch deutsch? Was ist Nation? Dürfen wir diese Begriffe eigentlich noch verwenden? Also reduzieren wir den Begriff auf „Die Mannschaft“. Für wen kämpft diese Mannschaft? Was ist ihre gemeinsame Identität? Schnell landen wir wieder bei der Frage, was heutzutage Deutsch ist. Der umstrittene Mesut Özil hat einen deutschen Pass. Ist er jetzt Deutscher oder gehört dazu doch etwas mehr? Gehört dazu eine gemeinsame Vergangenheit mit gemeinsamen Symbolen und Traditionen, aus dem sich dann ein „Wir“ entwickelt? Oder ist er doch Türke mit einem deutschen Pass?
Die neue Definition von deutsch lautet: „Alles, was innerhalb Deutschlands lebt, ist deutsch.“ Damit man mich nicht missversteht, ich habe damit keine Probleme, aber kann das funktionieren?
Wir machen uns ja gerne über die Amerikaner lustig, über ihren glühenden Patriotismus. Wenn Soldaten davon sprechen, dass sie ihrem Land dienen und über das Pathos bei der Flaggenparade und der Nationalhymne. Amerikaner sind im Ursprung Menschen aus aller Herren Länder. Damit das Ganze aber funktioniert, muss ein gemeinsames Dach für alle gefunden werden. Wenn sie Deutsche, Griechen, Litauer usw. bleiben, gibt es keine gemeinsame Identität. Die ist aber nötig, wenn es um gemeinsame Anstrengung geht, um etwas zu erreichen.
Welche Symbole haben wir in diesem Lande noch? Ich meine Symbole, die ohne negativen Touch verwendet werden können? Nationalhymne? Flagge? Beiden hängt der Ruch des Nationalismus an. Eine türkischstämmige Politikerin der SPD konnte vor einigen Monaten auch keine gemeinsame deutsche Kultur feststellen. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags Claudia Roth läuft hinter einem Transparent her, auf dem „Nie wieder Deutschland “ steht und nimmt in Hannover an einer Demo teil, aus der gerufen wird: „Deutschland, du mieses Stück Scheiße!“ Sie distanziert sich nicht und verlässt auch nicht die Demo.
Es heißt, man kann nicht gleichzeitig zwei Herren dienen. Irgendwo muss man sich zugehörig fühlen. Es gibt genügend Beispiele von Menschen, die jahrzehntelang im Ausland leben, die ihre neue Heimat lieben und schätzen und doch das bleiben, was sie bei der Geburt waren. Dahinter steht eine lange Kette von Ahnen und gemeinsamen Archetypen. Wenn ich heute meine Sachen packen und in die Toskana ziehen würde, wäre ich dann Italiener oder Deutscher, der in der Toskana lebt? Würde ich denken und fühlen wie ein Italiener, bloß weil ich jetzt dort wohne?
Jeder mag sich diese Fragen selbst beantworten.
Es gab einmal eine Untersuchung der deutschen Soldaten, die nach dem zweiten Weltkrieg nach ihrer Gefangenschaft in England blieben und dort auch heirateten. Ein hoher Prozentsatz vergaß im Alter die neue Sprache, die sie ein halbes Leben gesprochen hatten und – auch die deutsche Muttersprache wurde vergessen. Ich denke, dass einiges mehr dazu gehört, Deutscher oder Engländer oder was auch immer zu sein.
Es ist für uns Menschen ein hoher Wert, dazu zu gehören, wozu auch immer. Wir sind bereit, dafür Opfer zu bringen. Wenn wir das geschafft haben, dann setzen wir uns auch für unsere Gruppe ein, weil wir „Wir“ sind.
Sind wir hier in unserem Lande alles Deutsche? Hören wir einfach mal genauer hin, was wir sagen. Wir gehen zum „Italiener“ oder zum „Vietnamesen“, wir kaufen ein beim „Türken“. Das sind aber alles Deutsche nach der neuen Definition.
Die Mannschaft aus Deutschland hat verloren. Vielleicht sind sie doch nicht so gute Fußballer wie sie glaubten? Oder vielleicht doch? Vielleicht hat aber auch mitgespielt, dass sie kein richtiges Wir – Gefühl aufbauen konnten und nicht wussten, für wen oder was sie kämpften.
Im Moment entwickelt die herrschende politische Klasse große Anstrengungen, die ganze Welt hier aufzunehmen und daraus ein großes, lustiges, buntes Deutschland zu machen. Vielleicht ist die Niederlage bei der WM ein Zeichen, dass das doch nicht ganz so leicht geht, weil wir Menschen einfach sind, wie wir sind und gerne zu unseres Gleichen halten. Wenn wir denn wissen, wer das ist.