Wer meine Seite ab und zu besucht, wird gemerkt haben, dass ich in den „Streiflichtern“ hin und wieder Geschichten aus der Zen Tradition veröffentliche. Sie erscheinen manchmal recht seltsam und unverständlich. Ich möchte mich deshalb heute damit beschäftigen, was Zen eigentlich ist.
Beginnen wir folgendermaßen: Der Idealzustand für uns wäre, wenn zu jedem Moment Körper, Geist und Gefühl zusammen wären. Dies ist aber sehr selten der Fall. Die Gedanken fliegen in der Welt herum, während wir spazieren gehen und wenn wir freundlich lächelnd Anderen begegnen, tobt in uns ein Gefühlssturm, der mit dem Äußeren gar nichts zu tun hat. So leben wir dahin, ohne selten das einzige zu (er)leben, was wir wirklich haben, nämlich den gegenwärtigen Moment.
Wir alle, die wir uns mit Meditation befassen, wissen, dass die Gedanken wie wilde Pferde im Denken herum galoppieren. Durch Konzentration auf den Atem oder andere Objekte versuchen wir, das zu stoppen.
Wie so vieles, liegen die Ursprünge des Zen in Indien. Es heißt, das der Mönch Bhodidharma die Lehre nach China brachte, wo sie Chan hieß. Während nun Yoga ein logisch aufeinander abgestimmtes System ist, welches Ethik, Körperschulung und – pflege sowie diverse Energie – und Meditationstechniken umfasst, gibt es im Zen eigentlich nur ein paar Techniken, deren wichtigste das Zazen ist.
Dazu sitzt man in einer beliebigen Meditationshaltung ca. zwei Meter vor einer weißen Wand. Die Augen sind dabei halb geöffnet, um ein Dösen zu vermeiden und man versucht gewahr zu werden. Das ist jetzt schon eine typische Zenredewendung. Was denn gewahr werden? Alles! Gewahr werden des Körpers, des Atems, des Schmerzes, der Gefühle, der Wand, der Umgebung usw.
Es geht um ein unmittelbares Gewahrwerden des Moments und damit des ganzen Seins. Alles geschieht ohne Absicht. Wer sagt: „Ich muss mich jetzt konzentrieren“, liegt schon falsch. Es soll auch nichts erreicht werden. Ein Zen-Meister sagte einst zu einem Suchenden: „Es gibt nichts, was ich dir anbieten könnte.“
Ein Mensch kam einst in ein Zen-Kloster, um den Meister zu sprechen. Auf seine Frage, wo der sich befinde, antwortete man ihm: „Du musst ihn getroffen haben, als du über den Hof gingst.“ „Da war nur ein alter Mann mit einem Besen!“ „Das war der Meister.“
Sehr deutlich wird auch in dem untenstehenden Beispiel, worum es geht. Wer wirklich „nur“ isst und sich anzieht, hat das Ziel erreicht. Wer alle drei Momente: Körper, Denken, Fühlen bei dem hat, was er gerade tut, der ist in der Totalität des Seins. Mehr ist nicht!
Zen-Meister Bokaju wurde einst von einem Mönch gefragt: „Wir müssen uns jeden Tag anziehen und essen, wie können wir von all dem loskommen?“ Bokaju antwortete: „Wir ziehen uns an, wir essen.“ Der Mönch sagte: „Das verstehe ich nicht.“ Da meinte Bokaju: „Wenn Du es nicht verstehst, zieh Deine Kleider an und iss Deine Mahlzeiten.“
Wie auch im Yoga gilt es, das innere Gefasel auszuschalten. Dazu wird unter anderem die Technik des Koan benützt. Koans sind Aussagen und Fragen, die nicht durch Nachdenken gelöst werden können. Ein sehr bekanntes Koan ist: „Wie klingt das Klatschen einer Hand?“
Da gibt es nichts zum Nachdenken. Durch Denken gibt es keine Lösung. Es ist schlicht und einfach lahm gelegt. Das Koan zwingt zum gewahr sein.
Ein Schüler besucht nach Jahren des Übens seinen Meister. Er freut sich, ihm über seine Fortschritte berichten zu können. Als sie beim Tee zusammen sitzen und der Schüler gerade stolz anfangen will, zu berichten, fragt ihn der Meister: „Hast du deine Schuhe mit den Spitzen zur Wand oder umgekehrt abgestellt?“ Verlegen schweigt der Schüler und verlässt den Raum, um weitere Jahre zu üben.
Da sein! Auch im Yoga geht es um nichts anderes. Was sollte auch noch mehr sein? Vollkommenes Gewahrsein erschließt die wahre Natur der Dinge und eröffnet die Wahrnehmung des wahren Menschen (Purusha).