Ich bin der ich bin

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Brahman bezeichnet im Hinduismus den Urgrund des Seins. Es ist die letzte göttliche Wirklichkeit, das Unnennbare, das Unvorstellbare. Unser menschliches Bewusstsein kann es nicht erfassen, denn Begriffe wie ewig, unendlich sind nicht denkbar. Und so tun wir das, was Menschen gerne tun, wenn sie irgendetwas nicht verstehen: sie holen es auf ihre Ebene herab. In anderen Worten, sie machen sich ein Bild.

Im ersten Buch Moses 3.14-15 erscheint Gott dem Moses in Gestalt eines brennenden Dornbusches und spricht: „ Ich bin, der ich bin. Also sollst du zu den Kindern Israels sagen: ‚Ich bin‘ hat mich zu euch gesandt.“

Das Sein ist namenlos. Die Ähnlichkeit mit östlichen Vorstellungen ist unverkennbar. Wir treffen die gleiche Aussage im chinesischen Tao: „Der Sinn, der sich aussprechen lässt, ist nicht der ewige Sinn. Der Name, der sich nennen lässt, ist nicht der ewige Name.“

Wir sehen hier eine universelle Vorstellung. Wie kann es daher sein, dass eine dieser Denkrichtungen sagt: „Meine ist die richtige und ihr anderen irrt euch.“

Im Prolog des Johannesevangeliums lesen wir: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.“ Es ist der Urklang, das OM. Der Klang ist Gott und Gott ist alles, was erschaffen ist.

Für mich folgt daraus, dass alles Geschaffene göttlich ist. Hier mag man fragen: „Was ist mit dem Bösen?“ Antwort: Das Urgöttliche ist vollkommen desinteressiert an solchen Begriffen. Es erschafft, das ist alles. Und so wie es alles, was ist, hervorbringt, so bringt es auch Emanationen von Wegweisern hervor, um den Menschen den Weg zum Ewigen zu weisen.

Es sind Medien, durch die sich „Ich bin“ äußert.

Einer von ihnen, Jesus, sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“

Jesus als Mensch gewordener Gott. Ihn können wir uns vorstellen, genauso wie Buddha, einen anderen Botschafter des „Ich bin“. Von ihnen bekommen wir auch die „Werkzeuge“, mit denen wir uns dem Unfassbaren nähern können.

Jesus sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit, niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ Ist das nicht Vermessenheit, die ja dann am Kreuz geendet hat? Hier können wir ein Kernstück von Buddhas Lehre einflechten, das Wahren der Distanz zu allem materiell Vergänglichem. Wenn ein Mensch dies zu einem sehr hohen Grad verwirklicht hat, und wir können davon ausgehen, dass das bei Jesus der Fall war, dann wird er gleichsam durchscheinend für die göttliche Energie und kann sich als Sohn Gottes ansehen. Sein „Werkzeug“, seine Botschaft, die er uns vermittelt, ist die Liebe, die ja nichts anderes ist als die Transzendenz des Ego. Im Yoga haben wir den Begriff „Ahimsa“, das bedeutet Abwesenheit von Gewalt in Gedanken, Worten und Taten. Für mich ist das das Gleiche.

Martin Luther lehrte, dass es dem Menschen nicht aus eigener Kraft gelingen könne, sich so zu läutern, dass er Gott erkennen kann. Nur durch die Gnade, die aus dem Glauben kommt, sei das möglich.

Das gleicht dem, was Krishna zu Arjuna sagt, nämlich, dass der einfachste Weg der sei, sich ganz Gott zu überlassen und alles in seinem Namen zu tun. Das ist Bhakti-Yoga.

Aber einfach Nachfolgen, ohne zu versuchen, die Liebe zu verwirklichen, ist nicht genug. Es geht ja darum,  „seinen“ Weg zu gehen. Natürlich wird das die Masse der Menschen nicht schaffen, der Rest ist Gnade.

Hier unterscheidet sich der Osten vom Westen, weil die Vereinigung der Individualseele, des Atman mit dem Brahman erst erfolgt, wenn alles Karma abgetragen ist und das erfordert sehr, sehr viele Wiedergeburten. Das mag sehr logisch klingen, hat aber für mich etwas Gnadenloses an sich und kann, wenn man es genau betrachtet, etwas Resignatives an sich haben. Man stelle sich vor, alles Karma muss verarbeitet werden und es darf kein neues dazu kommen. Wenn man eine Straße entlang geht und es rempelt uns einer an, genügt der kleinste Gedanke wie: „Pass‘ doch auf!“, um neues negatives Karma zu kreieren. Aber vielleicht ist dieser lange Reinigungsprozess auch nötig, um „Ich bin“ zu erfahren. Ob wir das aus eigener Kraft schaffen, ist zweifelhaft. Die Yogasutren des Patanjali, die auf der nontheistischen Samkhyaphilosophie fußen, erwähnen den Begriff Ishwara, das bedeutet Gott. Hier wird, ungeachtet dessen, dass es nicht ins Philosophiegebäude passt, erwähnt, dass Samadhi möglich ist, indem man im Sinne des Bhakti- und Karma -Yoga sein ganzes Leben an Gott übergibt.

Wir werden sehen!

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