Per aspera ad astra

oznor

„Auf rauen Pfaden zu den Sternen.“ So könnte ein Lebensmotto heißen. Ich habe mich früher immer wieder mal gefragt, was einen normalen Menschen mit einem gewissen Maß an Ethik, der sonntags ziemlich regelmäßig seinen Gottesdienst besucht und seinen sonstigen Pflichten halbwegs gewissenhaft nachkommt, von einem Yogaaspiranten unterscheidet. Ich meine jetzt nicht das sportliche Yoga mit passendem Dress und Yogamatte, sondern das, was in den Yogasutren gelehrt wird. Das Yoga, das dem Achtfachen Pfad folgt und eine Form des Daseins darstellt, dessen Ziel die Läuterung des Denkens ist, um den wahren Menschen (Purusa) hinter den Nebeln der Dualität zu sehen.

Als ich 1978 das erste Mal für vier Monate am Yogainstitut in Bombay war, war das für mich eine vollkommen neue Welt. Ich lebte nach streng klösterlichen Regeln. Es gab einen festen Tagesplan, in dem sich geistige und körperliche Phasen abwechselten. Äußere Ablenkungen, wie Fernsehen, Zeitungen und Radio gab es nicht. Wir waren gehalten, das Institut möglichst selten zu verlassen. Die Ernährungsregeln waren strikt. Schon aus eigenem Interesse hielt man sich an diese Lebensweise, denn man ahnte, wenn man sie aus Disziplinlosigkeit oder Schlamperei verließ, dann war man verloren. Dann schlitterte man in die Verlockungen der Materie, aber da gab es nichts. Sollte man in irgendeine dunkle Spelunke mit ebensolchen dunklen Typen auf ein Bier gehen? Und was danach?

So können äußere Umstände sehr förderlich sein, um neue Verhaltensweisen einzuüben. Am Ende dieser vier Monate fühlte ich mich sehr stark und fest in der Yogapraxis verwurzelt. Zum Abschied sagte Founder Shri Yogendraji, der Gründer des Instituts: „Something is gained. – Ein bisschen was ist erworben.“ Ich fand das etwas geringschätzig, fühlte ich mich doch schon so gut wie ein zertifizierter Yogaexperte.

Eine Woche später, wieder zuhause, fiel ich das erste Mal in das Loch alter Gewohnheiten und es dämmerte mir, dass das alles erst der Anfang war. Seitdem sind fast vierzig Jahre vergangen und ich gehe seitdem die oben erwähnten rauen Pfade.

Ich bekomme jeden Monat das Magazin des Yogainstituts. Darin finden sich auch immer ein paar Leserbriefe, in denen die Schreiber erzählen, dass sie jetzt viel ruhiger sind und nicht mehr rauchen. Ihre Konzentration sei viel besser als vorher usw. Das alles hat sich ergeben, seit sie den Siebentageskurs besucht haben. Das klingt alles recht optimistisch und ist doch rührend naiv. Überhaupt sind Zustandsbeschreibungen wie: „Früher war ich…und jetzt bin ich…“ realitätsfremd.

Wir haben in unserem Bewusstsein Millionen von Einprägungen (Samskaras), die nur darauf warten, durch einen Impuls von außen an die Oberfläche zu kommen und dort wieder aktiv zu werden. Hier eine kleine Story dazu: Ein Yogi sitzt in tiefer Meditation am Ufer des heiligen Ganges. Er sitzt dort schon seit Jahren. Sein ganzes Dasein ist dem Erlangen der Erleuchtung gewidmet. Eines Tages kommt eine Schar junger Mädchen vorbei. Ihr glockenhelles Lachen dringt in die Konzentration unseres Yogi und er öffnet die Augen und ist geblendet vom Liebreiz der Maiden. Augenblicklich wird er von einer Flut des Begehrens überfallen und…na ja.

Korrekt ist, wenn man sagt: „Jetzt zu dieser Minute geht es mir so und so, denn fünf Minuten später kann alles ja ganz anders sein.“ Wenn es um Persönlichkeitsentwicklung geht, muss man in lebenslangen Dimensionen denken und hier kommt das systematische Yogatraining des Achtfachen Pfades ins Spiel. Es muss versucht werden, durch stetes Bemühen das Gefäß des Denkens zu klären. Dazu ist ein harmonisch funktionierender Körper hilfreich. Deswegen macht man Asanas und Pranayamas. Beides ist natürlich nicht auf den Körper beschränkt. Man muss sich bewusst werden, was man so alles in sein Denken reinlässt. Alles bewirkt ja innerlich etwas, sowohl körperlich als auch geistig. Das Ganze muss regelmäßig und geduldig über lange Zeit ausgeführt werden. Nun ist es so, dass die wenigsten unter uns eine derartige Konsequenz praktizieren. Wir leben nicht im Kloster, sondern nehmen am ganz normalen Leben teil. Wir fahren in den Urlaub und schwelgen dort in vielfältigen Erfahrungen. Wir treffen uns mit Freunden und gehen in Konzerte, dann kommen wir spät nachhause und schlafen am nächsten Morgen länger usw.

All das sind vom strengen Standpunkt des Yogis her Ablenkungen. Ich komme zu der eingangs gestellten Frage zurück. Gibt es da Unterschiede und gibt es Gründe, die Nase hoch zu tragen, wenn man Yoga macht? Nach meiner Erfahrung nicht. Ich kenne Menschen in meiner Umgebung, die ein ethisches und anständiges Leben führen und ich kenne langjährige Yogaaspiranten, mit heiligem Grinsen im Gesicht, welches ein massives Ego verdecken soll.

Wir sind alle auf dem Weg. Yoga ist ein sehr ausgearbeitetes System, welches mannigfaltig auf Körper und Psyche wirkt, aber es bewahrt nicht vor Schmerzen, Krankheit und psychischem Fehlverhalten. Und es gibt Menschen, die ihre Kraft aus anderen Quellen beziehen, zum Frühschoppen nach der Kirche gehen, ganz normal essen und nie ein Reformhaus von innen gesehen haben, dabei aber eine beeindruckende Menschlichkeit an den Tag legen.

Es ist alles recht relativ.

Es gibt den Begriff „Abhyasa“. Das wird übersetzt mit „konstantem Bemühen“. Ich denke, dass das Wichtigste ist, sich darüber klar zu sein, dass der Sinn des Lebens der Weg zu Gott ist und nicht das Anhaften am Materiellen. Die Quellen, aus denen man schöpft, können sehr verschieden sein. Yoga ist eine – aber eine sehr gute.

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