Abhinivesha

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Was ist der Mensch? Ein Haufen Knochen, Blut, Schleim und Fleisch, wie es die Materialisten sehen? Ist er ein Staubkorn im Weltall, nichtig und unbedeutend, Spielball eines rachsüchtigen Gottes? Tatsache ist, dass jedem von uns das eigene Ich das Wichtigste ist, was es gibt, selbst wenn wir uns lange und intensiv mit philosophischen Themen befasst haben und zuhause sind in den verschiedenen Weltbildern, die uns von Religionsstiftern und Denkern geliefert werden. Zuzeiten wandeln wir in den lichten Gefilden des Geistes, aber all zu schnell landen wir wieder auf dem Boden der normalen Welt. Es ist uns nicht gegeben, lange hoch zu fliegen.

Wir kennen im Yoga den Begriff „Abhinivesha“. Er bedeutet Anhaften am Leben, Lebensdrang, Lebenswille. Sobald das Ich in Gefahr gerät, erfahren wir, was das heißt. Oft genügt ein schiefer Blick von einem anderen, um alle Verteidigungsmaßnahmen in Stellung zu bringen. Wenn wir alt und gebrechlich sind, klammern wir uns ans Leben, obwohl es gar nicht mehr so lebenswert ist.

Was ist es mit diesem Ich? Von Sigmund Freud stammt der erste Versuch, das Selbst zu definieren. Er teilte es in „Es, Ich und Über – Ich“. Das „Es“ ist das Archaisch – Animalische in uns. Es sagt: „Das will ich jetzt haben und zwar sofort, und es ist mit egal, was Andere dazu sagen. Wenn ich dafür jemanden umbringen muss, so ist das dessen Problem und nicht meins.“ Babys und Kleinkinder funktionieren nach diesem Prinzip. Wenn ein Baby Hunger hat, schreit es so lange, bis es gefüttert wird und wenn das nachts um drei Uhr ist. Da es vollkommen hilflos ist, ist es auf diese Unbedingtheit angewiesen. Das „Über – Ich“ ist der Ordnungsfaktor in diesem Modell. Es sagt: „Aber das kannst du doch nicht machen. Du musst Rücksicht auf die Anderen nehmen. So was tut man nicht, usw.“ Menschen, deren Über – Ich zu stark ausgeprägt ist, nehmen sich sehr zurück und kommen eventuell zu kurz. Das „Ich“ ist die Verbindung zur Realität. Es hat die Aufgabe, das unbedingte, hemmungslose Wollen und das zaghafte Bedenken in der Realität so zu verbinden, dass das Individuum in einem sozialen Kontext leben kann und dabei doch seinen Teil abbekommt.

Auch Vertreter der Humanistischen Psychologie, wie Carl Rogers, entwickelten Persönlichkeitsmodelle. Rogers definiert das „Selbst“ als die Summe aller Erfahrungen. Es sei ein permanenter Prozess, entsprechend den sich immer wieder verändernden Erfahrungen.

Für den Osten sind das alles oberflächliche Ebenen. Alle Gedanken und Gefühle, alle Erfahrungen und Eindrücke sind Teil der materiellen Welt und die ist in ständiger Bewegung.

Es wird die Auffassung vertreten, dass alle Erfahrung nur dazu dient, den Geist oder Gott, wie auch immer zu entdecken. Das Ich ist hier lediglich eine Art Systemsteuerung, die den Organismus hin zu diesem Ziel führt. Man könnte sagen, dass es sich hier um eine Psychologie des Nicht – Ich handelt.

Ich hatte weiter oben schon erwähnt, wie Carl Rogers, der „Erfinder“ der Gesprächspsychotherapie das sieht. Er definiert als Ziel der Persönlichkeitsentwicklung, dass das Individuum die Erfahrungen, die es ständig macht, in einem steten Fluss verarbeitet, Altes gehen lässt und Neues aufnimmt, also nicht an alten Strukturen und Verhaltensweisen aus der Kindheit festhält – das Selbst als ein sich ständig veränderndes Kontinuum.

Diese psychische Gesundheit wird zwar auch im Yoga und in anderen östlichen Systemen angestrebt, aber eben nur als Start zur Transzendenz des Materiellen hin zum Geist (Purusa) oder der Buddha – Natur der Buddhisten.

Mystiker leben ständig im Gottesbewusstsein. Für sie ist Gott in allem gegenwärtig. Ihr Ich – Bewusstsein ist „nicht von dieser Welt“. Ein islamischer Mystiker legte sich einstmals zum Schlafen, wobei die Füße in Richtung Mekka wiesen; welch Sakrileg (ketzerische Zwischenfrage: „Sind die Füße weniger wert als der Kopf?“). Ein Strenggläubiger monierte diese „Achtlosigkeit“ und erhielt die Antwort: „Bruder, kannst du mir eine Richtung sagen, wo Gott nicht ist?“

Als Gandhi erschossen wurde, war sein letztes Wort: „Ram“ (Rama ist eine Inkarnation Vishnus).

Was wird unser letzter Gedanke sein? Gott oder: „Ich wollte doch am Testament noch was ändern!“

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