Mu

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Als ich vor ziemlich genau 40 Jahren mit Yoga anfing, fiel mir der damalige spirituelle Bestseller: „Die drei Pfeiler des Zen“ von Philip Kapleau in die Hände. Es ist ein Werk, das das Zen in Theorie und Praxis beschreibt, unter anderem das Koan. Koans sind Begriffe, die dem Schüler vom Meister gegeben werden und über die er meditieren soll. Sie sollen das diskursive Denken stoppen, das aller Erleuchtung im Wege steht. Der Geist soll leer sein. Wie bringt man ihn dazu? U.a. damit, dass man ihm etwas gibt, das für ihn sinnlos ist, ein Koan. Mu ist eines davon. Es bedeutet „nichts, ohne“. Auf die Frage, ob ein Hund Buddhanatur habe, antwortete der Zenmeister Joshu: „Mu“.

Kapleau bringt Erlebnisberichte von Aspiranten des Zen in japanischen Klöstern. Er sagt, die schnellste Art, erleuchtet zu werden, ist das Koan. Das war für mich die Aussage. Er beschrieb, wie Schüler die Nächte durch im Park des Klosters saßen und muten.

Selbstverständlich wollte auch ich schnellstens erleuchtet werden. Langsames, geduldiges Üben war nicht mein Fall und so mute auch ich vor mich hin.

„Mu, Mu, Mu… – also was ist jetzt, jetzt muhe ich schon eine halbe Stunde und wo bleibt die Erleuchtung“?

Das Fatale ist, dass das Denken sich selbst beobachtet. Es kommentiert seine „Absichtslosigkeit“. Das ist so absurd, dass es schon fast selbst ein Koan ist.

Wir waren damals ein paar Monate mit unserem VW-Bus in den schottischen Highlands unterwegs und mancher stille Fleck hörte mich muen. Wahrscheinlich dachten die umstehenden Schafe manchmal verwundert: „Das heißt nicht Mu, sondern Mäh.“

Inzwischen sind vier Jahrzehnte vergangen.

Im Folgenden zitiere ich nochmal eine kleine Zengeschichte, die ich kürzlich in den „Streiflichtern“ anführte, weil sie so genau das Problem umreißt.

Es ist unsere nie versiegende Ungeduld!

Ein junger Mann suchte einen Zen-Meister auf, um ihn zu fragen:

Meister, wie lange wird es dauern, bis ich Befreiung erlangen werde?

Vielleicht zehn Jahre,

entgegnete der Meister.

Und wie lange dauert es, wenn ich mich besonders anstrenge?

fragte der Schüler.

In diesem Fall kann es zwanzig Jahre dauern,

erwiderte der Meister.

Ich will so schnell wie möglich ans Ziel gelangen und bin bereit, wirklich jede Härte auf mich zu nehmen,

beteuerte der Mann.

Dann kann es bis zu vierzig Jahre dauern,

erwiderte der Meister.

Gestern Abend kam auf Arte eine wirklich gut gemachte Sendung über Yoga. Es wurden verschiedene Ashrams mit ihren Übungsmethoden dargestellt. Die Leute waren ernsthaft dabei und äußerten sich auch ganz ernsthaft, wie es bei Yogaleuten so üblich ist. Genau so war es bei uns damals im Yogainstitut in Bombay und genau so ist es auch heute noch.

Damals wie heute sucht man vor allem Stressfreiheit, innere Ruhe, keine Kopfschmerzen, ruhigen Schlaf und hinter all dem steht der Wunsch, dass einem die Welt nicht mehr so aufregen möge. Wie schön wäre es, mit mildem Lächeln über all dem Getriebe, das einen jeden Tag so aufregt, thronen zu können?

Alle guten spirituellen Lehrer sagen ihren Schülern, dass es nicht die oder die Übung ist, die eine bestimmte Wirkung zeitigt. Also zum Beispiel: „ Wenn du Halasana ausführst, hast du keine Verstopfung mehr.“ Das leuchtet ein, aber irgendwie ist das auch ärgerlich. Warum? Weil unser Denken nach dem Wenn – Dann – Prinzip funktioniert. „Wenn ich mit diesem Hammer auf diesen Nagel schlage, dann dringt er ins Holz.“

Erleuchtung entzieht sich aber dieser Methode, wobei wir wieder bei Mu wären.

Was also ist es, das wirkt?
Wir kennen den Begriff Abhyasa. Er bedeutet Praxis, Übung. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit meinem Guru an einem sonnigen Nachmittag, an dem Rascheln der Palmblätter durch die Stille drang. Er sagte: „Everything contributes. No one knows, what part of the puzzle leads to that or that.“ Auf deutsch: „Alle Erfahrungen tragen zu einem Persönlichkeitswachstum bei.“

Es kommt noch eines hinzu, nämlich Swadhyaya, ungenügend übersetzt mit Selbststudium. Swadhyaya – Abhyasa bedeutet, dass man über einen langen Zeitraum mit immer wieder kehrendem Interesse durch Lesen, Studieren von philosophischen Texten und Nachdenken seine Erfahrungen in einen yogischen Kontext setzt, also durch geistiges Üben ein Puzzleteilchen zum anderen fügt. Da können Pausen dazwischen sein, Zweifel auftreten, aber auch das Reflektieren des sogenannten Versagens gehört dazu.

Wir kennen alle die schlauen Sprüche: „Schieb‘ den Fluss nicht an, er fließt von alleine, sei absichtslos …“ Aber natürlich würden wir den verdammten Fluss liebend gern anschieben – wenn wir könnten.

Ich hatte in diesen vierzig Jahren viermal das Privileg, Samadhi – Erfahrungen zu erleben. Sie kamen einfach so, in Situationen, in denen ich sie nicht erwartete. Diese Erfahrungen kann ich nicht wiederholen. Da wird deutlich, wenn es heißt: „Es geschieht“. Ich kann mich nur erinnern, aber das ist nicht dasselbe wie Erleben. Man kann zwar in Worten ausdrücken, was erfahren wird, etwa: Es gibt kein Sterben oder alles ist gut, es gibt keinen Grund für irgendwelche Ängste. Oder auch das Erleben eines Gefühls tiefster Geborgenheit. Aber all das sind nur Worte.

Schüler fragten mich früher immer: „Machst du jeden Tag Yoga?“ Sie meinten damit Asanas. Ich sagte dann: „Ich mache immer Yoga.“ Gemeint ist damit Abhyasa und Swadhyaya, auch wenn das Leben mal wieder „eines der Schwersten“ ist.

 

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