Handeln

cof

Kürzlich erreichte mich ein Kommentar zu dem Artikel „Ärger oder der Sinn des Lebens“. Den Leser beschäftigte die Frage, wie es möglich sei, wertfrei zu handeln wenn Gewalt im Spiel ist.

Diese Fragestellung ist in der Tat grundsätzlich und universal. Bezeichnend war schon, dass sie im Fragenkatalog für Kriegsdienstverweigerer gerne aufgeworfen wurde: „Da Sie doch gegen Gewalt sind, was machen Sie, wenn Ihre Freundin vergewaltigt wird und Sie sie nur durch Gewaltanwendung schützen können. Wollen Sie das zulassen?“ Die Aufzählung dieser Konfliktsituationen ließe sich beliebig erweitern.
Man kann diesen Konflikt nur auf philosophischer Ebene angehen.

Yoga hat dafür eine Antwort.

„Karma Yoga ist der Yoga des rechten Handelns.

„Ich möchte dir dazu eine Geschichte erzählen. Vor circa zweitausendfünfhundert Jahren wurde das Mahabharata geschrieben. Als sein Verfasser gilt ein Weiser namens Vyasa. Ein Teil dieses Epos ist die Bhagavad – Gita, das Lied Gottes. Ihr Inhalt ist ein Dialog Krishnas, einer Inkarnation Vishnus mit dem Held Arjuna. Damit hat es folgende Bewandtnis. Vor langer Zeit regierten im alten Indien zwei Brüder ein Königreich. Der eine hieß Dhrtarastra, der andere hieß Pandu. Da Pandu früh starb, übernahm Dhrtarastra die Erziehung von dessen fünf Söhnen. Das Königreich wurde geteilt und Dhrtarastras Söhne, die Kauravas regierten den größeren Teil des Reiches und Pandus Söhne, die Pandavas bekamen den kleineren Teil. Trotzdem waren die Kauravas auf die Dauer  damit nicht zufrieden. Sie beschlossen, die Pandavabrüder zu einem Würfelspiel einzuladen. Sie wussten, dass diese die Einladung annehmen mussten, da es als ehrenrührig galt, abzulehnen. Die Einsätze waren nichts weniger als die beiden Königreiche. Yudishthira, der älteste der Pandavas verlor, da die Würfel präpariert waren und so mussten die Brüder und ihre Frauen für dreizehn Jahre  in die Wälder ziehen. Nachdem diese Zeit abgelaufen war, forderten sie ihr Königreich wieder zurück. Sie waren sogar bereit, sich mit nur fünf Dörfern zu begnügen, aber selbst das wurde ihnen von Duryodhana, dem König der Kauravas, verwehrt. Friedensangebote führten zu keinem Ergebnis. Selbst als Krishna um Frieden bat, wurde dies von dem arroganten Duryodana abgelehnt.
Um verstehen zu können, um was es hier geht, brauchst du einige Informationen über die Person von Krishna. Nach dem Verständnis der Hindus inkarniert sich Vishnu, der Teilaspekt Gottes, der das erhaltende Moment repräsentiert von Zeit zu Zeit, nämlich dann, wenn das Übel auf der Erde überhand zu nehmen droht. Bei Krishna nun handelt es sich um solch eine Inkarnation Vishnus. Er kam auf die Erde, weil mächtige Herrscherdynastien ihre Macht missbrauchten. Ähnlich wie Jesus in der Familie eines Zimmermanns aufwuchs, war auch Krishna in die Welt der Menschen integriert. Uns interessiert hier aber nur, dass er Cousin der Pandavas war. Als solcher stand er auf ihrer Seite.
Nachdem ein Krieg nun also unvermeidlich war, sammelten sich die zwei Heere auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra. Krishna war der Fahrer des Streitwagens von Arjuna, dem fähigsten Kämpfer und damit auch Heerführer der Pandavabrüder. Es muss ein gewaltiges Bild gewesen sein, als sich die beiden Heere mit tausenden von Elefanten und Streitwagen gegenüberstanden. Es war damals noch nicht üblich, den Krieg überfallartig zu beginnen. Zwischen den Heerführern wurden genaue Regeln vereinbart. So durften nur Gleichausgerüstete gegeneinander kämpfen. Bei Sonnenuntergang wurde die Schlacht bis zum nächsten Morgen unterbrochen. Um sich einen Überblick zu verschaffen, bat Arjuna Krishna, ihn in das Niemandsland zwischen den beiden Heeren zu fahren. Und damit kommen wir zum Kern des Geschehens.
Als Arjuna nämlich die gegnerischen Reihen musterte, sah er viele Freunde aus seiner Kindheit und Jugend. Er sah nahe Verwandte. Er sah seinen verehrten Lehrer, der ihm die Waffentechniken beigebracht hatte. Als er dies alles wahrnahm, beherrschte ihn nur noch ein Gefühl, nämlich dass es ihm unmöglich war, gegen diese ihm nahestehenden Menschen zu kämpfen und sie womöglich zu töten. Es überkam ihn eine Schwäche und er wollte nur noch eines, weg. Er war bereit, auf den Sieg und die Königswürde zu verzichten.
Wir müssen uns die Situation in ihrer ganzen Dramatik vor Augen führen. Arjuna gehörte der Kriegerkaste an. Vergleichbar unseren Rittern, gehörte es zu den Aufgaben der Ksatrias (Krieger), für Recht und Sicherheit zu sorgen, die Schwachen zu beschützen und die Staatsstruktur zu erhalten. In eine Kaste wird man kraft Karma hineingeboren. Es war damals völlig undenkbar, in eine andere Position zu wechseln. Für einen Krieger war  auch das Töten nichts Ehrenrühriges. Es gehörte zu seiner Stellung, wie zu einem Brahmanen das Zelebrieren eines Opferritus.  Hinzu kommt seine Position. Er war Führer über Zehntausende von Kriegern. Zudem waren zur Unterstützung der Brüder befreundete Könige mit ihren Truppen herbeigeeilt und hatten sich unter seinen Befehl gestellt. Sie alle standen in gespannter Erwartung, als ihr Führer nun vor die Linie fuhr. Auch die gegnerische Armee richtete ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihn, denn es war ja für sie wichtig, seine Entscheidungen vorauszuahnen.
Wir haben hier eine bewusst extrem gewählte Situation, in der ein Mensch mit widersprüchlichen Gefühlen unter einem ungeheueren Druck steht. Arjuna sieht für sich nur die Möglichkeit, sich vollkommen aus allen Verpflichtungen zurückzuziehen. Die Folgen wären Unverständnis und Verwirrung von unabsehbarem Ausmaß. Die Verbündeten könnten mit Unverständnis und Verärgerung reagieren und eventuell zum Feind überlaufen. Die Strukturen des ganzen Staates könnten zusammenbrechen.  Bis in die Neuzeit hinein waren die Könige ja überzeugt, von Gott eingesetzt zu sein. Das heißt, dass die Gesellschaft hierarchisch strukturiert war. Wenn also der oberste Repräsentant seinen Posten verlässt, was sollte seine Untertanen hindern, ein gleiches zu tun? Wir haben erst in den letzten Jahren in Somalia und Ruanda  selbst erlebt, was es bedeutet, wenn alle staatlichen Strukturen zusammenbrechen, nämlich Chaos und tausendfachen Tod. Kein Mensch kann ohne negative Folgen seine Aufgaben negieren.
Wir kommen hier zur Kernproblematik, mit der sich die Bhagavad – Gita befasst: Wie können wir Menschen, ohne zu verzweifeln oder innerlich zu resignieren unser Leben mit all seinen widersprüchlichen Anforderungen bewältigen? Vielleicht fragst du dich, warum eine spirituelle Botschaft in einem so martialischen Rahmen verpackt ist? Weil dargelegt werden soll, dass es für uns Lösungen gibt, auch wenn es um Leben und Tod, das heißt um die Existenz an sich geht. Vor diesem Hintergrund erscheinen alle anderen Probleme zweitrangig. So enthält die Bhagavad – Gita auch einen Aspekt der Hoffnung, der für uns ja so wichtig ist.“ (Das Yogalehrbuch, Gerhard Pflug, Schirner Verlag 2004, S. 106-108)
Im Kapitel 2, Vers 38 der Bhagavad Gita  spricht Krishna zu Arjuna: „ Wenn für dich Freude und Leid, Gewinn und Verlust, Sieg oder Niederlage als gleich gilt, dann gehe in die Schlacht, um der Schlacht willen und du wirst keine Sünde begehen.“ ….denn die Seele kann nicht sterben, sondern sie geht von einem Körper in den anderen, gleichsam als würden Kleider gewechselt. “

„Damit wir uns nicht missverstehen, dies ist kein Freibrief zum Töten. Arjuna ist Krieger und Heerführer, also ist es sein Dharma zu kämpfen und damit auch zu töten. Aber selbst er würde schuldig werden, wenn er aus egoistischen Motiven heraus handeln würde.“ (ebd. S.111 )

Die zentrale Fragestellung ist, aus welcher inneren Haltung heraus Handeln geschieht. Es ist eine großer Unterschied, ob es aus einem Gefühlswirrwarr aus Wut, Angst und Hass passiert oder aus innerer Klarheit und Einsicht bezüglich seiner Pflichten und im Einklang mit der universellen Ethik. Kein Mensch würde verlangen, dass ein Vater sein Kind nicht unter allen Umständen schützt. Ja, er würde sich einer Pflichtverletzung in seiner Rolle als Eltern schuldig machen, wenn er es nicht täte , auch unter Einsatz von Gewalt.
Yoga in all seinen Aspekten ist ein Training, innere Ruhe zu erlangen und aus dieser heraus zu handeln.

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